Die 1910er-Jahre, waren ein Jahrzehnt des Wandels und der Umbrüche, sie erstreckten sich von 1910 bis 1919 und waren geprägt von tiefgreifenden politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen. Diese Jahre waren insbesondere von den globalen politischen Spannungen und des Ersten Weltkrieges (1914–1918) gekennzeichnet, der die Weltordnung nachhaltig beeinflusste. Der Konflikt führte global zu massiven Verlusten an Menschenleben und veränderte die internationalen Beziehungen grundlegend.
Gleichzeitig erlebten viele Länder soziale Bewegungen, die sich für die Rechte von Frauen, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie ethnischen Minderheiten einsetzten. Technologische Innovationen, wie der Aufstieg der Automobilindustrie und Fortschritte in der Kommunikation, trugen zur Modernisierung der Gesellschaft bei.
In der Kunst und Kultur waren die 1910er Jahre geprägt von einem Aufbruch in der Literatur, Malerei und Musik, mit Strömungen wie dem Expressionismus und dem Kubismus, die neue Wege des Denkens und der Wahrnehmung beschritten. Diese Dekade markierte somit nicht nur den Beginn eines verheerenden Krieges, sondern auch eine Ära der kreativen und sozialen Revolutionen.
1911 bis 1912: Mit der italienischen Kriegserklärung beginnt am 29. September 1911 der Italienisch-Türkische Krieg und endete mit dem Frieden von Ouchy am 18. Oktober 1912.
1911: Mit dem Auffinden des offenbar ermordeten 12-jährigen Andrej Jušcinskij beginnt in Kiew die Beilis-Affäre. Konservative Angehörige der Organisation der Schwarzen Hundert versuchen den Mord als jüdischen Ritualmord darzustellen, obwohl alle Indizien in eine andere Richtung weisen.
1912 und 1913: Die Balkankriege sind zwei Kriege der Staaten der Balkanhalbinsel in den Jahren 1912 und 1913 im Vorfeld des Ersten Weltkriegs. Als Folge wurde das Osmanische Reich in Europa bis in die heutigen Grenzen der Türkei verdrängt und musste große Gebiete an die Nachbarländer abtreten.
1914: Das 200 Passagiere transportierende Paketboot Ancona durchfährt als erstes Wasserfahrzeug den Panamakanal in voller Länge. Offizielle Eröffnungsfeierlichkeiten entfallen wegen des Kriegsausbruchs in Europa.
1914 bis 1923: Anfangsphase der deutschen Inflation 1914 bis 1923, einer der radikalsten Geldentwertungen, die eine große Industrienation je erlebt hat.
1918: Lenin wird bei einem Attentat schwer verletzt; als Verdächtige wird Fanny Kaplan festgenommen. Das Attentat löst die Phase des sogenannten Roten Terrors aus.
1918: Beginn einer Influenzapandemie („Spanische Grippe“). Bis Ende 1919 erkranken ca. 500 Mio. Menschen, über 20 Mio. werden durch die Pandemie sterben.
1919: Die Satzung des Völkerbundes wird durch die Vollversammlung der Friedenskonferenz von Versailles angenommen.
Wirtschaft
1910: Mit dem Australian Notes Act wird in Australien die Commonwealth Treasury gegründet und das Australische Pfund als eigene Währung für das vereinigte Australien eingeführt.
1910: Durch eine Änderung der Firma entsteht in Mailand der Automobilproduzent Alfa Romeo.
1913: Der Bäcker Karl Albrecht sen., der seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben muss, macht sich als Brothändler selbstständig. Seine Frau Anna gründet unter seinem Namen in Schonnebeck einen Tante-Emma-Laden. Unter ihren Söhnen Karl und Theo wird das Unternehmen Aldi im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem Handelsimperium.
1913: Karl Rapp gründet in München die Rapp Motorenwerke GmbH, Vorgänger der Bayrischen Motorenwerke (BMW). Die Bayerischen Motoren Werke (BMW) werden 1916 gegründet.
1914: Auf einer Pressekonferenz kündigt Henry Ford die Einführung des Achtstundentags bei Ford zum 12. Januar und einen Mindestlohn von fünf US-Dollar pro Tag an.
1914: In Bologna wird das Automobilunternehmen Maserati gegründet.
1910: Robert Victor Neher reicht zusammen mit Edwin Lauber und Alfred Gmür in der Schweiz eine Patentanmeldung für das von ihm erdachte Verfahren zur Herstellung von Alufolien ein.
1910: Die Erde durchquert den Schweif des Halleyschen Kometen, was zahlreiche Menschen in Angst versetzt, weil Astronomen darin kurz zuvor das giftige Gas Dicyan entdeckt haben.
1910: Bei einem unfreiwilligen Flugtest mit der Coanda-1910 entdeckt der rumänische Physiker und Aerodynamiker Henri Marie Coandă den nach ihm benannten Coandă-Effekt. Er beobachtet während der Landung des Flugzeugs, wie sich die Gase und die Flammen aus dem Triebwerk am Rumpf des Flugzeugs entlang anlegen. Dabei gerät das Flugzeug in Brand und wird vollständig zerstört.
1911: Die vom belgischen Großindustriellen und Amateurforscher Ernest Solvay organisierte erste Solvay-Konferenz mit dem Thema Theorie der Strahlung und Quanten wird unter dem Vorsitz von Hendrik Antoon Lorentz in Brüssel abgehalten.
1912: Der US-Amerikaner Albert Berry springt als erster Mensch mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug. Sein anschließender Kommentar dazu lautet: „Nie wieder!“ Der Fallschirm wurde von Thomas Wesley Benoist und dem Piloten Tony Jannus entwickelt.
1912: Der deutsche Chemiker Anton Köllisch synthetisiert für das Chemieunternehmen Merck erstmals den Ecstasy-Wirkstoff MDMA.
1912: Die Internationale Feuerlösch-Gesellschaft mbH präsentiert in Berlin den ersten „Schnell-Trocken-Feuerlöscher“. Das patentierte Löschverfahren revolutioniert die Brandbekämpfung und kann als Vorläufer aller modernen mobilen Feuerlöscher angesehen werden.
1913: Die französischen Physiker Charles Fabry und Henri Buisson entdecken die Ozonschicht, als sie durch UV-spektroskopische Untersuchungen erstmals Ozon in höheren Atmosphärenschichten nachweisen können.
1914: Walter Schottky entwickelt die Gesetze zum Anlauf-, Raumladungs- und Sättigungsgebiet in der Vakuumröhre.
1916: Oskar Dressel gelingt die Synthese des Medikaments Suramin. Suramin bzw. Suramin Sodium ist das erste wirksame Heilmittel gegen die Schlafkrankheit.
1914: Im Zoo von Cincinnati stirbt mit der WandertaubeMartha das letzte bekannte Individuum ihrer Gattung, die bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend verschwand. Die Wandertaube wurde seither zusammen mit der Bejagung des Bison zum Symbol für den Raubbau an der Natur.
1916: In den USA entsteht der National Park Service. Ihm obliegt es, die verwalteten Orte zugänglich zu machen und die natürliche Landschaft und Tierwelt sowie historische Denkmale zu erhalten.
1912: Die Bezeichnung Orphismus wird von dem Schriftsteller Guillaume Apollinaire für die Bilder Robert Delaunays geprägt, der im selben Jahr eine Einführung zur Delaunay-Ausstellung in der Galerie Der Sturm von Herwarth Walden gibt. Er sieht darin die Überwindung des Kubismus.
1915: Der Verleger und Kunsthändler Watanabe Shōzaburō prägt den Begriff Shin-hanga für die moderne Form des japanischen Holzschnittes. Der erste Shin-hanga Im Bad stammt von Hashiguchi Goyō. Gleichzeitig erlebt auch der Sōsaku-hanga seine Blüte, eine weitere Form des Holzschnittes, bei der der Künstler alle drei Arbeitsschritte (zeichnen, schnitzen, drucken) selbst ausführt.
1910: Urban Gads Film Afgrunden (Abgründe) wird in Düsseldorf erstmals in Deutschland gezeigt. Der dänische Film, in dem Asta Nielsen in der Hauptrolle ihr Debüt feiert, dauert 45 Minuten und gilt als erster abendfüllender Film Europas.
1910: Frankenstein (die erste filmische Adaption, als Kurzfilm)
1912: Oliver Twist (der erste US-amerikanische Spielfilm)
1913: In Berlin wird der Spielfilm Der Student von Prag mit Paul Wegener in der Titelrolle uraufgeführt. Er gilt als der weltweit erste Autorenfilm und Kunstfilm. Die Doppelbelichtungsaufnahmen von Kameramann Guido Seeber gelten als bedeutender Schritt zur Loslösung des deutschen Films vom Theater hin zu einem filmspezifischen Ausdruck.
1914: Charlie Chaplin beginnt seine Leinwandkarriere, er nimmt seine Tätigkeit bei den Keystone Studios auf. Anfang Januar beginnen die Dreharbeiten zu seinem ersten Film Wunderbares Leben unter der Regie von Henry Lehrman. Am 7. und 9. Februar werden die Filme Kid Auto Races at Venice (Seifenkistenrennen in Venice), der am 10. Januar in nur 45 Minuten fertiggestellt worden ist, und Mabel’s Strange Predicament (Mabel in peinlicher Lage) veröffentlicht, in denen Chaplin erstmals in der Rolle des Tramps zu sehen ist. Danach folgen mehrere Filme mit Mabel Normand, wobei Chaplin jedoch immer wieder Probleme mit den Regisseuren sowie der Hauptdarstellerin hat. Am 4. Mai erscheint sein Regieerstling Caught in the Rain. Ende Oktober erscheint der Film Dough and Dynamite von und mit Charles Chaplin. Mack Sennetts Spielfilm Tillie's Punctured Romance (Tillies gestörte Romanze) mit Marie Dressler, Charles Chaplin und Mabel Normand hat am 14. November seine Uraufführung. Er gilt als die erste abendfüllende Filmkomödie der Vereinigten Staaten. Ende des Jahres endet Charlie Chaplins Engagement bei den Keystone Studios nach 35 Filmen, weil sie sich auf seine erhöhten Honorarforderungen nicht einlassen wollen. Im November unterschreibt Chaplin einen Vertrag bei dem von den Filmpionieren George K. Spoor und Gilbert M. Anderson geführten Unternehmen Essanay.
Im Jahr 1919 wird die drahtlose Sendetechnik erstmals öffentlich genutzt. Bis dahin waren Rundfunkübertragungen ein Privileg des Militärs.
In den USA und Europa entstehen zahlreiche Kleinsender.
In Deutschland sichert die Reichspost ihren Anspruch auf das Funkwesen und gliedert dafür aus ihrer alten Abteilung „Telegraphen- und Fernsprechwesen“ eine neue Abteilung für „Funkentelegraphie“ aus. Hans Bredow wechselt als Ministerialdirektor zum Reichspostministerium und beginnt mit der Einrichtung eines „Reichsfunknetzes“.
Eine Post-Denkschrift fasst die politischen Bedenken gegen das neue Medium in Deutschland zusammen: „Eine allgemeine Freigabe der Benutzung von Empfangsapparaten zur Aufnahme beliebiger Nachrichten, wie sie in einigen Ländern erfolgt ist, in denen der Staat sich mit der Beförderung drahtlosen Nachrichten im inneren Verkehr nicht befaßt, hat seine große Bedenken, denn es würde damit jedermann technisch möglich sein, alle in der Luft befindlichen Nachrichten abzuhören.“[1]
1911: Die erste Rallye Monte Carlo, initiiert von Albert I., beginnt. In Genf, Paris, Boulogne-sur-Mer, Berlin, Wien und Brüssel starten insgesamt 20 Teilnehmer in Richtung Monaco. Der Franzose Henri Louis Rougier wird schließlich erster Gesamtsieger.
Panoramablick auf die Ausstellungsflächen in Gent, 1913.
Werbeplakat zur Weltausstellung in San Francisco, 1915.
Weltausstellungen in Brüssel, Turin, Gent und San Francisco. Die Weltausstellung in Gent war die letzte Weltausstellung vor dem Ersten Weltkrieg und die letzte Weltausstellung mit einer Völkerschau. Zahlreiche Kolonien, darunter auch Belgisch-Kongo, haben einen eigenen Pavillon und sollen insbesondere den belgischen Imperialismus im besten Licht erscheinen lassen.
1910: In Spokane im US-Bundesstaat Washington wird zum ersten Mal ein Vatertag gefeiert. Sonora Smart Dodd will damit in Anlehnung an den in den USA eingeführten Muttertag eigentlich ihren alleinerziehenden Vater ehren, setzt jedoch eine Bewegung in Gang.
1913: Das New Yorker Grand Central Terminal wird eingeweiht. Es ist seitdem der größte Bahnhof der Welt.
1913: Die von der Compañía de Tranvías Anglo Argentina erbaute erste Linie der Subterráneos de Buenos Aires, der ersten U-Bahn Südamerikas und der gesamten Südhalbkugel, wird eröffnet.
1914: Trotz mangelnder Beweise wird der schwedische Wanderarbeiter Joe Hill in Salt Lake City des Mordes an einem Lebensmittelhändler und seinem Sohn schuldig befunden. Der Fall entwickelt sich zu einem der größten Justizskandale in der amerikanischen Geschichte.
1916: Nach einem Vortrag über Geburtenkontrolle wird in New York die Anarchistin und Friedensaktivistin Emma Goldman festgenommen. Die Krankenschwester Margaret Sanger eröffnet im Oktober in Brownsville (New York City) zusammen mit ihrer Schwester und einer Gesinnungsgenossin die erste US-amerikanische Klinik für Familienplanung und Geburtenkontrolle. Neun Tage später werden die drei Frauen von der Polizei verhaftet.
1919: Beginn der zivilen Luftpost in Deutschland. Zweimal täglich starteten Flugzeuge in Berlin-Johannisthal, um Postsendungen zum Tagungsort der verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar zu transportieren.