Die Fibonacci-Folge ist die unendliche Folgenatürlicher Zahlen, die mit zweimal der Zahl 1 beginnt und bei der jede weitere Zahl die Summe der beiden ihr vorangehenden Zahlen ist. In moderner Schreibweise wird diese Folge zusätzlich mit einer führenden Zahl 0 versehen:[2]
Die darin enthaltenen Zahlen heißen Fibonacci-Zahlen. Benannt ist die Folge nach Leonardo Fibonacci, der damit im Jahr 1202 das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieb. Die Folge war aber schon in der Antike sowohl den Griechen als auch den Indern bekannt.[3]
Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Fibonacci-Folge auch noch zahlreiche andere Wachstumsvorgänge in der Natur beschreibt. Es scheint, als sei sie eine Art Wachstumsmuster in der Natur.[4]
Die Fibonacci-Zahlen weisen einige bemerkenswerte mathematische Besonderheiten auf:
Je weiter man in der Folge fortschreitet, desto mehr nähert sich der Quotient aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen dem Teilungsverhältnis des Goldenen Schnittes (beispielsweise 13:8 = 1,6250; 21:13 ≈ 1,6154; 34:21 ≈ 1,6190; 55:34 ≈ 1,6176; etc.). Diese Näherung ist alternierend, d. h., die Quotienten sind abwechselnd kleiner und größer als .[4]
Da diese Quotienten gegen den Goldenen Schnitt konvergieren, lässt sich dieser als der unendliche periodische Kettenbruch darstellen:
Die Zahl ist irrational. Das bedeutet, dass sie sich nicht durch ein Verhältnis zweier ganzer Zahlen darstellen lässt. Am besten lässt sich durch Quotienten zweier aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen approximieren. Dies gilt auch für verallgemeinerte Fibonaccifolgen, bei denen und beliebige natürliche Zahlen annehmen.
Das nach Edouard Zeckendorf benannte Zeckendorf-Theorem besagt, dass jede natürliche Zahl eindeutig als Summe voneinander verschiedener, nicht direkt aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen geschrieben werden kann.
Das heißt, es gibt für jedes eine eindeutige Darstellung der Form[11]
Das explizite Bildungsgesetz für die Glieder der Fibonacci-Folge wurde unabhängig voneinander von den französischen Mathematikern Abraham de Moivre im Jahr 1718 und Jacques Philippe Marie Binet im Jahr 1843 entdeckt. Dazwischen war es aber auch den Mathematikern Leonhard Euler und Daniel Bernoulli bekannt, Letzterer lieferte 1728 auch den vermutlich ersten Beweis.[12]
Bemerkenswert ist das Zusammenspiel zweier irrationaler Zahlen und , das zu einem ganzzahligen Ergebnis führt.
Näherungsformel für große Zahlen
Der Einfluss von geht rasch gegen Null, bspw. ist . Das kann man verwenden, um die Berechnung abzukürzen, indem man den Term für genügend große ignoriert und das Ergebnis zur nächsten natürlichen Zahl rundet:
(Gaußsche Rundungsklammer )
Tatsächlich geht das schon für .
Induktiver Beweis
Einer der einfachsten Beweise gelingt induktiv. Wegen und ist der Induktionsanfang erfüllt. Angenommen, die Formel gelte für alle Werte von bis (starke Induktionsvoraussetzung). Wir zeigen, dass sie dann notwendigerweise auch für gilt:
Dabei haben wir benutzt, dass und der charakteristischen Gleichung genügen.
Nach dem Prinzip der vollständigen Induktion muss nun die Formel für alle gelten.
Herleitung über ein Eigenwertproblem
Die Formel von Binet kann mit Matrizenrechnung und dem Eigenwertproblem in der linearen Algebra hergeleitet werden mittels folgendem Ansatz:
Nun transformiert man die Matrix in eine Diagonalmatrix durch Betrachtung als Eigenwertproblem.
Es gilt , wobei die Matrix der Eigenvektoren und die Diagonalmatrix mit den Eigenwerten ist. Damit folgt:
Wenn also so gewählt wird, dass die charakteristische Gleichung erfüllt ist (also oder ), wird , d. h., erfüllt die Fibonacci-Rekursion mit dem Rekursionsanfang und .
Die durch , , rekursiv definierte Folge hat die explizite Darstellung . Ebenso , , .
Mit und genügt wegen der Superpositionseigenschaft auch jede Linearkombination der Fibonacci-Rekursion . Mit Hilfe eines linearen Gleichungssystems ergibt sich und , damit und . Folglich ergibt sich explizit .
Für ergibt sich und , d. h. die klassische Lucas-Folge mit explizit .
Die auf der linken Seite stehende Potenzreihe konvergiert für . Über die angegebene Partialbruchzerlegung erhält man wieder die Formel von Moivre-Binet.
Herleitung der erzeugenden Funktion
Für ist
da
da und
Die Rekursionsbedingung induziert daher
ausklammern:
Nach Division durch das Polynom das nicht das Nullpolynom ist, folgt die angegebene Form.
Mit einer geeigneten erzeugenden Funktion lässt sich ein Zusammenhang zwischen den Fibonacci-Zahlen und den Binomialkoeffizienten darstellen:
Wegen für und kann auch ohne Gaußklammern geschrieben werden:
Herleitung
Die erzeugende Funktion kann auch geschrieben werden:
Bei der Umformung wurden der binomische Lehrsatz und die Umsummierung mit verwendet.
Koeffizientenvergleich ergibt den angegebenen Zusammenhang.
Die Schreibweise für die erzeugende Funktion erlaubt auch die Darstellung
Herleitung
In der Darstellung von als unendliche Summe ist der Summand mit verzichtbar, siehe vorherige Herleitung.
Die -te Ableitung der erzeugenden Funktion ist mit der Potenzregel:
Für verschwindet die Summe der letzten Zeile. Für dieses entsteht mit Division durch die Behauptung.
Verbindung zum reziproken Wert der Zahl 89
Wertet man die erzeugende Funktion an der Stelle aus, so erhält man , folglich lässt sich in eine unendliche Summe von Fibonacci-Zahlen zur Basis zerlegen.
Darstellung mit Matrizen
Die Fibonacci-Zahlen tauchen auch als Einträge der Potenzen der Matrix auf:
Aus der Relation ergibt sich beispielsweise die erste oben angegebene Formel für . beschreibt zugleich die Summationsvorschrift der Fibonacci-Folge, denn ihr Produkt mit einem Paar aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen (als Spaltenmatrix geschrieben) ergibt das nächste Paar; entsprechend erzeugt das -te Paar aus dem Startpaar . Dies und die Tatsache, dass die Eigenwerte von gerade der Goldene Schnitt und dessen Kehrwert (Letzterer mit negativem Vorzeichen) sind, führen wieder auf die oben genannte Formel von Binet.
Verwandtschaft mit dem Pascalschen Dreieck
Die Fibonacci-Zahlen können mithilfe des Pascalschen Dreiecks beschrieben werden. Um die -te Fibonacci-Zahl zu bestimmen, nimmt man aus der -ten Zeile des Pascalschen Dreiecks jede zweite Zahl und gewichtet sie mit der entsprechenden Fünfer-Potenz – anfangend mit 0 in aufsteigender Reihenfolge, d. h. , , usw. Anschließend addiert man diese gewichteten Elemente zusammen und dividiert durch .
Das Bild unten veranschaulicht die Berechnung der ersten sieben Fibonacci-Zahlen aus dem Pascalschen Dreieck. Zum leichteren Verständnis sind die nicht benutzten Elemente des Pascalschen Dreiecks im Bild ausgegraut, die Gewichtung mit den aufsteigenden Fünfer-Potenzen rot und die Exponenten cyan hervorgehoben.
Herleitung
Ausgehend von der expliziten Formel für die Fibonacci-Zahlen (s. Formel von Moivre-Binet weiter oben in diesem Artikel)
kann man zunächst den Term im Nenner ausklammern und die verbliebene Differenz mittels Binomialkoeffizienten ausschreiben und anschließend zusammenfassen:
Für die Differenz unter dem Summenzeichen gilt
sodass man die Summe auf ungerade reduzieren kann:
Der -Term kürzt sich also raus und unter dem Summenzeichen bleiben nur Fünfer-Potenzen. Das erklärt das scheinbare Paradoxon, dass die explizite Formel für Fibonacci-Zahlen mit ihren -Termen überhaupt ganze Zahlen liefert. Die Abrundung in der Summen-Obergrenze ist übrigens notwendig, damit die Indizierung nicht über den Wert hinausgeht und die ursprüngliche Summenbegrenzung eingehalten wird.
Vergleicht man die unter dem Summenzeichen verbliebenen Binomialkoeffizienten mit denen im Pascalschen Dreieck, erkennt man, dass es sich dabei um jeden zweiten Koeffizienten in der entsprechenden Zeile des Dreiecks handelt (wie es im Bild oben visualisiert ist). Man kann die Formel also auch als
schreiben mit der Bezeichnung für einen Binomialkoeffizienten an der -ten Stelle in der -ten Zeile des Pascalschen Dreiecks (beide ab Null gezählt!). Als Beispiel erhält man für die 7-te Fibonacci-Zahl etwa den Wert
Reihen von Reziproken
Da die Fibonacci-Zahlen exponentiell mit dem Index wachsen, konvergieren die reziproken Reihen absolut.
Die unendliche Summe der Kehrwerte der Fibonacci-Zahlen mit geradem Index[14] lässt sich mithilfe der Lambert-Reihe
Die klassische („kanonische“) Fibonacci-Folge ist durch drei Kriterien charakterisiert:
Eine lineare Iteration, welche die beiden vorangehenden Folgenglieder einbezieht
Eine Linearkombination dieser Folgenglieder, in der beide Vorgänger den Koeffizienten +1 tragen
Beide Startglieder gleich +1
Jedes dieser Kriterien erlaubt eine Verallgemeinerung:
Die Wahl anderer Startglieder und liefert eine Folge , die mit der kanonischen Folge nach der Beziehung zusammenhängt. Ein Beispiel hierfür ist die Lucas-Folge.
Für die Glieder einer solchen Folge gilt ein gegenüber der Formel von Moivre-Binet verallgemeinertes explizites Bildungsgesetz:
mit und .
Die kanonische Folge stellt sich hier als Spezialfall mit dar, was wegen der charakteristischen Gleichung sofort und liefert.
Die Wahl anderer Koeffizienten für die Linearkombination liefert eine Folge, für die eine andere charakteristische Gleichung gilt. Eine Folge mit der Iterationsvorschrift
besitzt die charakteristische Gleichung . Die Wurzeln dieser Gleichung bestimmen das explizite Bildungsgesetz. Wenn die charakteristische Gleichung die Wurzeln und hat, dann lautet das Bildungsgesetz
wobei und wieder durch die Startglieder bestimmt sind.
Eine Iteration, die mehr als zwei vorangehende Folgenglieder einbezieht, besitzt dementsprechend ein Polynom höheren Grades als charakteristische Gleichung, wobei die Wurzeln dieser Gleichung wieder im Bildungsgesetz auftauchen und die Koeffizienten durch die Anfangswerte bestimmt sind. Es gilt dann
Eine Iteration, die nur das unmittelbar vorhergehende Glied verwendet, liefert in diesem Zusammenhang als entartete Fibonacci-Folge eine reine Potenzfolge.
Fibonacci-Folgen in der Natur
Phyllotaxis
Die Blätter (Phyllotaxis) oder Fruchtstände vieler Pflanzen sind in Spiralen angeordnet, wobei die Anzahl dieser Spiralen den Fibonacci-Zahlen entsprechen.
In diesem Fall ist der Winkel zwischen architektonisch benachbarten Blättern oder Früchten bezüglich der Pflanzenachse der Goldene Winkel.
Das liegt daran, dass Brüche von aufeinanderfolgenden Fibonacci-Zahlen den zugrunde liegenden Goldenen Schnitt am besten approximieren.
Die Spiralen werden daher von Pflanzenelementen gebildet, deren Platznummern sich durch die Fibonacci-Zahl im Nenner unterscheiden und damit fast in die gleiche Richtung weisen. Durch diese spiralförmige Anordnung der Blätter um die Sprossachse erzielt die Pflanze die beste Lichtausbeute. Der Versatz der Blätter um das irrationale Verhältnis des Goldenen Winkels sorgt dafür, dass nie Perioden auftauchen, wie es z. B. bei 1/4 der Fall wäre (0° 90° 180° 270° | 0° 90° …). Dadurch wird der denkbar ungünstigste Fall vermieden, dass ein Blatt genau senkrecht über dem anderen steht und so die Blätter maximalen Schatten auf darunterliegenden Blättern erzeugen oder maximale „Lichtlücken“ entstehen.
Beispielsweise tragen die Körbe der Silberdistel(Carlina acaulis) hunderte gleichgestaltiger Blüten, die in kleineren Körben in einer 21-zu-55-Stellung, in größeren Körben in 34-zu-89- und 55-zu-144-Stellung in den Korbboden eingefügt sind.[27] Auch die Schuppen von Fichtenzapfen wie auch von Ananasfrüchten bilden im und gegen den Uhrzeigersinn Spiralen, deren Schuppenanzahl durch zwei aufeinanderfolgende Fibonaccizahlen gegeben ist.[28]
Wissenschaftshistorisch sei hier auf das Buch On Growth and Form von D’Arcy Wentworth Thompson (1917) verwiesen.
Stammbäume
Männchen der Honigbiene (Apis mellifera) werden als Drohnen bezeichnet. Interessanterweise beschreibt die Fibonacci-Folge die Anzahl der Ahnen einer Drohne. Das erklärt sich dadurch, dass eine Drohne (Generation n = 1) sich aus einem unbefruchteten Ei entwickelt, das ausschließlich Erbgut ihrer Mutter, der Bienenkönigin (Generation n = 2), enthält; eine Drohne hat keinen Vater. Eine Königin jedoch hat zwei Eltern, nämlich als Mutter eine andere Königin und als Vater eine Drohne (Generation n = 3) usw. Die Anzahl aller Ahnen einer Drohne in je einer so definierten n-ten Generation ist die n-te Fibonacci-Zahl .
Um das einzusehen, lässt sich die Zeichnung zur Anzahl der Kaninchen in Fibonaccis Modell im Abschnitt Antike und Mittelalter in Europa verwenden. Jedes Paar nicht geschlechtsreifer Kaninchen entspricht einer Drohne, jedes Paar geschlechtsreifer Kaninchen einer Königin. In den Gleichungen der Modellierung ist dann die Anzahl der Drohnen, die Anzahl der Königinnen (jeweils in der n-ten Generation) und die Anzahl der Ahnen einer Drohne in der betrachteten Generation.
Fettsäuren
Unverzweigte aliphatischeMonocarbonsäuren (hier: uaM), zu denen im Regelfall die Fettsäuren gehören, können verschieden viele Doppelbindungen an verschiedenen Positionen aufweisen. Die Anzahl der uaM gehorcht als Funktion der Kettenlänge der Fibonacci-Folge.[29] Das folgt daraus, dass Doppelbindungen bei uaM nicht benachbart sind; die seltenen Ausnahmen sind hier vernachlässigt. Speziell gibt es nur eine aliphatische Monocarbonsäure mit einem C-Atom: Ameisensäure, eine mit zwei C-Atomen: Essigsäure, zwei mit dreien: Propionsäure und Acrylsäure usw. Bei 18 C-Atomen ergeben sich 2.584 Varianten (wovon Stearinsäure, Ölsäure, Linolsäure und Linolensäure vier Beispiele sind).
Auch hier lässt sich, um das einzusehen, die Zeichnung zur Anzahl der Kaninchen in Fibonaccis Modell im Abschnitt Antike und Mittelalter in Europa verwenden. Ein Kaninchenpaar der -ten Generation entspricht dem -ten Kohlenstoffatom einer uaM, wobei die Zählung bei der Carboxygruppe beginnt. Jedes Paar nicht geschlechtsreifer Kaninchen entspricht einem Kohlenstoffatom , auf das keine Doppelbindung folgen kann, jedes Paar geschlechtsreifer Kaninchen einem Kohlenstoffatom , auf das eine Doppelbindung folgen kann (oder nicht). Die Verbindungsstrecken von nach oder von nach entsprechen Einfachbindungen, die Verbindungsstrecken von nach Doppelbindungen. In den Gleichungen der Modellierung ist dann (bzw. ) die Anzahl der Kohlenstoffatome (bzw. ). – Jeder Pfad von zu einem Kohlenstoffatom der -ten Generation entspricht genau einer uaM mit Kohlenstoffatomen; die Zuordnung ist bijektiv. Also ist die Anzahl der in der -ten Generation betrachteten Kohlenstoffatome gleich der Anzahl der uaM mit Kohlenstoffatomen.
Geschichte
Altes Indien
Ihre früheste bekannte Erwähnung findet sich unter dem Namen mātrāmeru („Berg der Kadenz“) in der Chhandah-shāstra („Kunst der Prosodie“) des Sanskrit-Grammatikers Pingala (um 450 v. Chr. oder nach anderer Datierung um 200 v. Chr.).[30] In ausführlicherer Form behandelten später auch Virahanka (6. Jh.) und besonders dann Acharya Hemachandra (1089–1172) diese Zahlenfolge, um die rechnerische Möglichkeit der Bildung von Metren durch regelmäßige Verteilung kurzer und langer Silben zu beschreiben.
Antike und Mittelalter in Europa
In der westlichen Welt war diese Folge ebenfalls schon in der Antike Nikomachos von Gerasa (um 100 n. Chr.) bekannt.[31] Sie ist aber mit dem Namen des italienischen Mathematikers Fibonacci verbunden, der in seinem Liber abbaci („Buch der Rechenkunst“, Erstfassung von 1202 nicht erhalten, zweite Fassung von ca. 1227) diese Zahlenfolge mit dem Beispiel eines Kaninchenzüchters beschrieb, der herausfinden will, wie viele Kaninchenpaare innerhalb eines Jahres aus einem einzigen Paar entstehen, wenn jedes Paar ab dem zweiten Lebensmonat ein weiteres Paar pro Monat zur Welt bringt:[32]
Jedes Paar Kaninchen wirft pro Monat ein weiteres Paar Kaninchen.
Ein neugeborenes Paar bekommt erst im zweiten Lebensmonat Nachwuchs (die Austragungszeit reicht von einem Monat in den nächsten).
Die Tiere befinden sich in einem abgeschlossenen Raum („in quodam loco, qui erat undique pariete circumdatus“), sodass kein Tier die Population verlassen und keines von außen hinzukommen kann.
Fibonacci begann die Folge, nicht ganz konsequent, nicht mit einem neugeborenen, sondern mit einem trächtigen Paar, das seinen Nachwuchs bereits im ersten Monat wirft, sodass im ersten Monat bereits 2 Paare zu zählen sind. In jedem Folgemonat kommt dann zu der Anzahl der Paare, die im Vormonat gelebt haben, eine Anzahl von neugeborenen Paaren hinzu, die gleich der Anzahl derjenigen Paare ist, die bereits im vorvergangenen Monat gelebt hatten, da der Nachwuchs des Vormonats noch zu jung ist, um jetzt schon seinerseits Nachwuchs zu werfen. Fibonacci führte den Sachverhalt für die zwölf Monate eines Jahres vor (2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, 233, 377) und wies auf das Bildungsgesetz der Folge durch Summierung jeweils zweier aufeinanderfolgender Folgenglieder (2+3 = 5, 3+5 = 8, 5+8 = 13 usw.) hin. Er merkte außerdem an, dass die Folge sich nach diesem Prinzip für eine unendliche Zahl von Monaten fortsetzen lässt, was dann allerdings unsterbliche Kaninchen voraussetzt: „et sic posses facere per ordinem de infinitis numeris mensibus.“ Weitere Beachtung hatte er dem Prinzip in seinen erhaltenen Werken nicht geschenkt.
Eine 2014 erschienene, mathematisch-historische Analyse zum Leben des Fibonacci, insbesondere zu seinem Aufenthalt in der nordafrikanischen Hafenstadt Bejaia (im heutigen Algerien), kam zu dem Schluss, dass der Hintergrund der Fibonacci-Folge gar nicht bei einem Modell der Vermehrung von Kaninchen zu suchen ist (was schon länger vermutet wurde), sondern vielmehr bei den Bienenzüchtern von Bejaia und ihrer Kenntnis des Bienenstammbaums zu finden ist. Zu Leonardos Zeit war Bejaia ein wichtiger Exporteur von Bienenwachs, worauf noch heute der französische Name der Stadt (Bougie, wie das frz. Wort für Kerze) hinweist.[33]
Nachdem spätere Mathematiker wie Gabriel Lamé (1795–1870) die Entdeckung dieser Zahlenfolge für sich beansprucht hatten, brachten Édouard Lucas (1842–1891)[34] und andere wieder in Erinnerung, dass der zu dieser Zeit älteste bekannte Beleg von Fibonacci stammte, und unter dem Namen „Fibonacci-Folge“ („suite de Fibonacci“, „Fibonacci sequence“, „successione di Fibonacci“) ist sie seither in den meisten westlichen Sprachen geläufig.
Mathematische Modellierung des Wachstums von Fibonaccis Kaninchen-Population
Sei die Anzahl der geschlechtsreifen bzw. die Anzahl der nicht geschlechtsreifen Kaninchen der -ten Generation, entsprechend für die Generationen und . Nach den oben angegebenen Regeln ist mit diesen Bezeichnungen:
(1)
(1’)
(2)
Einsetzen von (1’) in (1) und anschließende Addition von (2) ergibt
,
für die Gesamtzahl , , von Kaninchen der jeweiligen Generation also
,
was dem angegebenen rekursiven Bildungsgesetz der Fibonacci-Folge äquivalent ist.
Mit beschreibt dieses Modell die in der Zeichnung angegebene Generationenfolge.
Neuzeit
Die Zahlentheoretiker Édouard Lucas und J. Wasteels (1865–1909) zeigten Jahrhunderte später, dass aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen der Gleichung
genügen, und damit deren Bedeutung für die Zahlentheorie.
Bei der Fibonacci-Hyperbel
sind
sowie bei der (nach geeigneter Transformation daraus erhaltenen) Gleichung
sind
die (einzigen) ganzzahligen Lösungen im 1. Quadranten.[35]
Rezeption in Kunst und Unterhaltung
In Kunst und Unterhaltung wird die Fibonacci-Folge als etwas Besonderes, im Medium noch nicht Dagewesenes aufgegriffen. Ihre mathematische Bedeutung bleibt dabei im Hintergrund.
In der Unterhaltungsmathematik basieren das Schachbrett-Paradoxon und ähnliche geometrische Trugschlüsse auf den Eigenschaften der Fibonacci-Folge.
Das Cover des Debütalbums der kanadischen Band The Organ,Grab That Gun, wurde von David Cuesta mithilfe eines auf der Fibonacci-Folge basierenden Rasters entworfen.
Mario Merz hat sich seit den 1970er Jahren immer wieder mit der Fibonacci-Folge auseinandergesetzt.[37] Seit 1992 hängt im Zürcher Hauptbahnhof seine Lichtskulptur Das philosophische Ei aus roten Neonröhren mit Tieren und Fibonacci-Zahlen. 2001 schuf er in Unna ein Lichtkunst-Objekt, die Fibonacci-Reihe, auf dem Schornstein einer ehemaligen Fabrik.[38] In Zusammenarbeit mit Petra Paffenholz kreierte unter anderem das Kunstwerk „Ziffern im Wald“ auf dem Mönchsberg in Salzburg.[39]
Die Künstlerin Martina Schettina beschäftigt sich in ihren mathematischen Bildern ebenfalls mit den Fibonacci-Zahlen.[41][42]
Dan Brown verwendet in seinem Thriller The Da Vinci Code (2003) (deutsch: Sakrileg, 2004) die Fibonacci-Folge als geheime Botschaft.
Im Film π – System im Chaos von Darren Aronofsky, in dem der Protagonist nach dem „Muster der Welt“ in den Kursdaten von Aktien und in der Zahl π sucht, wird die Fibonacci-Folge erwähnt.
In der Serie Criminal Minds (Staffel 4, Folge 8) entführt ein Killer seine Opfer anhand der Fibonacci-Folge.
In Lars von Triers Film Nymphomaniac wird im Kapitel 5 – kleine Orgelschule – die Fibonacci-Folge mit einem Bach-Orgelsatz in Verbindung gebracht.
In dem Videospiel Watch Dogs von Ubisoft, in der Serienkiller-Mission als Zahlen, die an den einzelnen Tatorten der Opfer aufzufinden sind.[43]
Am Kernkraftwerk Leibstadt (CH) ist die Süd-Front des Maschinenhauses mit einer nach rechts progressiv ansteigenden Kurve aus sechs orangen Rechteckelementen bemalt, deren einzelne (aber auch addierte) Höhen der Fibonacci-Folge entsprechen.
In dem MangaJojo’s Bizzare Adventure: Steel Ball Run wird die Fibonacci-Darstellung als Darstellung der Kraft des Protagonisten verwendet.
In dem Kinderbuch Britta Tausendfuß von Irmela Wendt lernt das Mädchen Britta nach und nach zählen. Zuerst kann sie nur bis 5 zählen. Zum achten Geburtstag ihres Bruders schenkt sie ihm 8 Pferdchen aus Rübenschnitzeln. Als ihr Vater für den Bauernhof einen Traktor mit 13 PS anschafft, zählt sie 13 Gründe auf, warum das Familienpferd trotzdem 13 Mal besser ist. Der Buchtitel kommt daher, dass Britta für Zahlen, die ihr Verständnis übersteigen, einfach tausend sagt.
Patric Sommerhoff hat die Fibonacci-Folge als Quadrat dargestellt und dabei den Goldenen Schnitt in Gestalt von Graustufen berücksichtigt[45]
Die Prinzipien der Fibonacci-Folge können auch auf ähnliche Zahlenfolgen angewendet werden. So besteht die Tribonacci-Folge gleichfalls aus aufeinanderaddierten Zahlen. Hierbei werden aber die drei vorangegangenen Zahlen addiert, um die jeweils nächste zu bilden:
für
Die ersten Glieder lauten:
0, 1, 1, 2, 4, 7, …
Die Tribonaccizahlen tauchen bei einigen geometrischen Figuren auf.
Genau so, wie die Fibonaccizahlen aus 2 und die Tribonaccizahlen aus 3 Gliedern errechenbar sind, lassen sich die n-Bonaccizahlen (so auch Tetra- und Pentanaccizahlen) aus Gliedern bilden.[25]
Die Stern-Brocot-Folge hat ein ähnliches Bildungsgesetz und weist ähnlich vielfältige mathematische Besonderheiten auf wie die Fibonacci-Folge.
Anmerkungen
↑Obwohl viele der Aussagen weiter unten auch gelten, wenn die Indizes (Subskripte) um einen festen Betrag verschoben werden, hat sich diese Festlegung eingebürgert. Sie hat auch den Vorteil, dass die Ergänzung auf negative Indizes sich symmetrisch zur 0 verhält.
↑Dazu muss festgestellt werden, dass dies ein theoretisches Gedankenmodell ist, das sich in der Praxis nicht so abbildet. Der Grund liegt in den individuellen Genen der Kaninchenmütter und der sich verändernden Geburtenrate. Es gibt Mütter, die über die Zeit zunehmend mehr Nachkommen haben, wenn sie mehr gebären konnten, während andere weniger Nachkommen haben, nachdem sie einen großen Wurf hatten. Zudem passen Kaninchen so wie auch Mäuse ihre Wurfgröße genetisch festgelegt an das Nahrungsangebot an, indem sie Gene an- und abschalten, welche die Fertilität steuern und Keimverzögerung sowie Befruchtungswillen beeinflussen.
Literatur
Thomas Koshy: Fibonacci and Lucas Numbers with Applications. Wiley, 2001, ISBN 978-1-118-03131-5.
↑Hans Walser: Spiralen, Schraubenlinien und spiralartige Figuren – Mathematische Spielereien in zwei und drei Dimensionen, Springer Spektrum, Springer-Verlag GmbH Berlin 2022, ISBN 978-3-662-65131-5, Seiten 93–94.
↑Parmanand Singh: The So-called Fibonacci numbers in ancient and medieval India. In: Historia Mathematica. 12. Jahrgang, Nr.3, 1985, S.229–244, doi:10.1016/0315-0860(85)90021-7 (englisch).
↑Donald E. Knuth: Negafibonacci Numbers and the Hyperbolic Plane. Annual meeting. Hrsg.: The Mathematical Association of America. The Fairmont Hotel, San Jose, CA. 11. Dezember 2008 (Abstract. (Memento vom 3. November 2011 im Internet Archive)).
↑Yvonne Stry, Rainer Schwenkert: Kapitel 11 Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, Abschnitt 6 Anwendungen. Eine sonderbare Ziffern-Verteilung und die Steuerrevision, Unterabschnitt 11.6.1, in: Mathematik kompakt für Ingenieure und Informatiker, Springer-Verlag, 2006, ISBN 978-3-540-32312-9.
↑Nicolai N. Vorobiev: Fibonacci Numbers. Springer Science & Business Media, 2002, ISBN 978-3-7643-6135-8 (google.de [abgerufen am 29. März 2023]).
↑H. C. Williams: A Note on the Fibonacci Quotient Fp−ε/p. In: Canadian Mathematical Bulletin. Band25, Nr.3, 1. September 1982, ISSN0008-4395, S.366–370, doi:10.4153/CMB-1982-053-0 (cambridge.org [abgerufen am 29. März 2023]).
↑Die Gleichung muss Landau (1899) bekannt gewesen sein, s. Borwein, Page 95, Exercise 3b. Wegen ergibt eine Multiplikation mit allen Nennern die Gleichung
↑In manchen Büchern wird für de Moivres Entdeckung auch 1730 angegeben oder auch die Entdeckung nur Binet zugeschrieben. Für de Moivre, Bernoulli und Binet siehe dazu Beutelspacher (Albrecht Beutelspacher, Bernhard Petri: Der Goldene Schnitt. Spektrum, Heidelberg/Berlin/Oxford 1988, ISBN 3-411-03155-7, S. 90) und Schröder (u. a. in: Herbert Schröder: Wege zur Analysis: Genetisch – Geometrisch – Konstruktiv. Gabler, 2001, ISBN 3-540-42032-0, S. 12 (Auszug (Google))). Dass die Formel zudem auch Euler bekannt war, findet man z. B. bei Winkler (Peter Winkler: Mehr mathematische Rätsel für Liebhaber. Gabler, 2010, ISBN 978-3-8274-2349-8, S. 46 (Auszug (Google))) oder Ben-Menahem (Ari Ben-Menahem: Historical Encyclopedia of Natural and Mathematical Sciences. Band 1. Springer, 2009, ISBN 978-3-540-68831-0, S. 611 (Auszug (Google))).
↑Gleichung (2.12) in: Fibonacci numbers and matrices. 15. Juni 2009, Robert C. Johnson, Department of Mathematical Sciences, Durham University, UK.
↑Richard André-Jeannin: Irrationalité de la somme des inverses de certaines suites récurrentes (= Comptes rendus de l’Académie des sciences, Série I. Band308, Nr.19). 1989, S.539–541 (französisch).
↑G. Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Band VI/4. 2. Auflage 1987. Weissdorn Verlag, Jena, ISBN 3-936055-23-8.
↑Richard A. Dunlap: The Golden Ratio and Fibonacci Numbers. World Scientific, Singapur 1999, ISBN 981-02-3264-0, S. 130–134.
↑S. Schuster, M. Fichtner, S. Sasso: Use of Fibonacci numbers in lipidomics – Enumerating various classes of fatty acids. In: Sci. Rep. 7 (2017) 39821.
↑Parmanand Singh: Acharya Hemachandra and the (so called) Fibonacci Numbers. In: Mathematics Education. 20,1 (Siwan, 1986), ISSN0047-6269, S. 28–30.
↑Baldassare Boncompagni (Hrsg.): Scritti di Leonardo Pisano matematico del secolo decimoterzo. Bd. I, Tipografia delle scienze matematiche e fisiche. Rom 1857, S. 283–284 (Kap. XII, 7: „Quot paria coniculorum in uno anno ex uno pario germinentur“).
↑Edouard Lucas: Recherches sur plusieurs ouvrages de Léonard de Pise et sur diverses questions d’arithmétique supérieure. In: Bulletino di bibliografia e di storia delle scienze matematiche e fisiche 10. (1877), S. 129–193, S. 239–293.
↑Franz Lemmermeyer: Mathematik à la Carte. S. 210 ff.
↑Beitrag in MU – Der Mathematikunterricht „Mathematik und Kunst“. Jg. 55, Heft 2, April 2009. Friedrich Verlag, Herausgeber Stefan Deschauer, TU Dresden, ISSN0025-5807.