Sein umfangreiches Werk ließ kaum eine Gattung aus. Am bekanntesten wurde er mit seinem zwischen 1933 und 1945 veröffentlichten zehnbändigen Romanzyklus Chronik der Pasquiers, der ihn eher als Moralisten denn als Chronisten der Epoche ausweist. In einigen Abhandlungen griff er auch die Fortschritts- und Technikgläubigkeit seiner Zeitgenossen an. Er selbst blieb religiös gestimmt.
Zwar entschied sich der Sohn eines Apothekers nach dem Abitur (1902) für ein Medizinstudium; sein vornehmliches Interesse galt jedoch der Literatur. Zwischen 1906 und 1908 gründete er unweit von Paris zusammen mit Charles Vildrac (seinem späteren Schwager) das Kulturzentrum L'Abbaye de Créteil, einen Wohn- und Arbeitsort für Künstler aller Art. Als Lyriker erwärmte sich Duhamel für das „unanimistische“ Konzept des Gruppenmitglieds Jules Romains. Als Erzähler sah er die Aufgabe zunächst in der Schilderung zeitgenössischer Verhältnisse.[1] In dieser Gruppe lernte er die Schauspielerin Blanche Albane kennen, die er 1909 heiratete. 1912 wurde er Redakteur der literarischen Zweimonatsschrift Mercure de France, in der alles publizierte, was Rang und Namen hatte. 1935 sogar Chefredakteur, wurde er 1938 wegen seiner Nähe zur Résistance abgesetzt. Nach dem Krieg war er allerdings wieder Haupteigner des Blattes, das 1958 vom renommierten Verlag Gallimard übernommen wurde.
Im Ersten Weltkrieg arbeitete Duhamel als Chirurg, oft in Frontnähe. Aus den niederschmetternden Kriegserfahrungen heraus verfasste er zwei Werke, die seinen Ruhm begründeten: La Vie des Martyrs und Civilisation, für das er 1918 den begehrten Prix Goncourt erhält. Um 1919 entdeckte er im Département Seine-et-Oise, nordöstlich von Paris gelegen, das Tal von Sausseron und den Ort Valmondois; hier verbrachte er künftig manchen Sommer. Im Jahre 1920 entschied er sich für eine Existenz als freier Schriftsteller.
Chronik des Clangeistes
Nach der „Fingerübung“ eines fünfbändigen Romanzyklus um den unscheinbaren Angestellten Salavin (der die im Titel angekündigten „Abenteuer“ vor allem im Geiste erlebt) erschienen ab 1933 die Pasquier-Romane. Obwohl mit großer „psychologischer Meisterschaft“ geschrieben, betonte Duhamel in diesem Zyklus gerade das allen geschilderten Familienangehörigen Gemeinsame: sie sind trotz ihrer unterschiedlichen Temperamente durchweg vom „esprit de Clan“ (Clangeist) durchdrungen. Das deckte sich mit dem moralischen Blickwinkel des Autors. „Es geht ihm nicht darum, eine geschichtliche Epoche zu vergegenwärtigen, so ereignisreich sie auch gewesen sein mag, sondern Menschen mit ihren zu allen Zeiten gleichen Existenzfragen zu gestalten.“[2]
1935 wurde Duhamel Mitglied der Académie française. In diesem Jahrzehnt unternahm er etliche Reisen, auch ins Ausland, um die französische Sprache und Kultur bekannt zu machen. Er warb für eine Zivilisation, die im Einzelnen, „im Herzen der Menschen“ begründet ist, und nicht etwa in dessen technischen Errungenschaften. Seine Sorge galt dem von zunehmender Technisierung und Enthumanisierung bedrohten Individuum.[2] Duhamel regte einige Konferenzen an. 1937 wurde er auch in die Académie nationale de Médecine aufgenommen. Von 1939 bis 1945, das heißt vor allem während der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen, arbeitete Duhamel als „vorläufiger Ständiger Sekretär“ der Académie française. Seine Bücher wurden von den Besatzern verboten. Er wehrte sich gegen die Nazis und gegen die Pétainisten in der Académie, was ihm nach dem Krieg den offiziellen Dank der Regierung de Gaulle einbrachte.
Musik
Um 1930 avancierte Duhamel vor allem aufgrund seiner kulturkritischen Werke gleichsam zum „offiziellen Schriftsteller der III. und IV. Republik“. Im Maße, wie er jenes Postulat von der Zeitbezogenheit erzählender Literatur durch allgemein-menschliche und moralische Kategorien ersetzte, wandelte sich der „Fortschrittspessimismus“ seiner frühen Texte in „Spiritualismus“.[1][3]
1947 wurde Duhamel Präsident der Alliance française, eines weltweiten Kulturinstituts des französischen Staates. Er nahm seine Reisetätigkeit wieder auf und ließ in vielen Städten der Welt Zweigstellen der Alliance errichten. Seit 1960 litt er unter Krankheiten und trat kaum mehr an die Öffentlichkeit. Er starb 1966 mit 81 Jahren.
Duhamel liebte die Musik, spielte selber Klavier und Querflöte, veranstaltete in seinem Haus oft Konzerte. Ab 1939 schrieb er regelmäßig Musikkritiken, beispielsweise für die Tageszeitung Le Figaro. Sein Sohn war der Komponist Antoine Duhamel.
In Paris sind eine Straße und ein Park nach Georges Duhamel benannt.
Werke
Des légendes, des batailles, Gedichte, 1907
L’homme en tête, Gedichte, 1909
Selon ma loi, Gedichte, 1910
La lumière, Drama, 1911, deutsch Das Licht, Leipzig 1921
Vie des martyrs, Erzählungen, 1917, deutsch Leben der Märtyrer, Zürich 1919 (übersetzt von Ferdinand Hardekopf)
Civilisation, Roman, 1918 (Prix Goncourt)
La Possession du monde, 1919, deutsch Der Besitz der Welt, Zürich 1921
Entretiens dans le tumulte, 1919
Elégies, Gedichte, 1920
Vie et aventures de Salavin, Romane; 1920–1932:
I. Confession de minuit, 1920, deutsch Mitternächtliche Beichte, Berlin 1924
II. Deux hommes, 1924, deutsch Zwei Freunde, Berlin 1925
III. Journal de Salavin, 1927
IV. Le Club des Lyonnais, 1929, deutsch Dir kannst du nicht entfliehen, Berlin 1933
V. Tel qu'en lui même ..., 1932
Les Hommes abandonnés, 1921, deutsch Die Gottverlassenen, Wien 1925, Menschen der Straße, Leipzig 1926
L'œuvre de athlètes, Drama, 1920, deutsch Der Athletenbund, Potsdam 1921
Lapointe et Ropiteau, 1921
Quand vous voudrez, Drama, 1921
Les plaisirs et les Jeux, 1922, deutsch Freuden und Spiele, Zürich 1927
Anthologie de la poésie lyrique française de la fin du XVe siècle à la fin du XIXe siècle. Insel Verlag, Leipzig 1923 (Gedichte in der Reihe „Bibliotheca Mundi“)
Le prince Jaffar, Erzählung, 1924, deutsch Prinz Dschaffar, Zürich 1926
Les voix du vieux monde,mis en musique par Albert Doyen, Gedichte, 1925
Essai sur le roman, 1925
Suite Hollandaise, 1925
Délibérations, 1925
La Pierre d'Horeb, 1926
Lettres au Patagon, 1926, deutsch Briefe nach Patagonien, Zürich 1927
Essai sur une renaissance dramatique, 1926
Le Voyage de Moscou, 1927, deutsch Das neue Moskau, Zürich 1928
Memorial cauchois, 1927
Images de la Grèce, 1928
Les sept dernières plaies, 1928
La nuit d'orage, Roman, 1928, deutsch Gewitternacht, Leipzig 1928
Scènes de la vie future, 1930, deutsch Spiegel der Zukunft, Übersetzung Käthe Rosenberg, Berlin 1931
Géographie cordiale de l’Europe, 1931
Les jumeaux de Vallangoujard, 1931
Querelles de famille, 1932
L'Humaniste et l'automate, 1933
Chronique des Pasquier, Romane, 1933–1945:
I. Le notaire du Havre
II. Le jardin des bêtes sauvages
III.Vue de la terre promise
IV. La nuit de la Saint Jean
V. Le désert de Bièvre
VI. Les Maîtres
VII. Cécile parmi nous
VIII. Le combat contre les ombres
IX. Suzanne et les jeunes hommes
X. La passion de Joseph Pasquier
(deutsche Teilausgaben Über die Treppen von Paris, Stuttgart 1952, Götter in Paris, 1954, Schatten im Licht Paris, 1955)
Louis C. Keating: Critic of Civilization. Duhamel and His Writings. University Press, Lexington, KY 1965.
Egbert Klautke: Kronzeugen des Antiamerikanismus in Deutschland und Frankreich. Adolf Halfeld und Georges Duhamel. In: Wolfgang Eßbach (Hrsg.): Welche Modernität? Intellektuellendiskurse zwischen Deutschland und Frankreich im Spannungsfeld nationaler und europäischer Identitätsbilder. Verlag Spitz, Berlin 2000, ISBN 3-8305-0062-9, S. 173–191.
Bettina L. Knapp: Georges Duhamel. Twayne, New York 1972 (Twaynes world authors series; 199).
Arlette Lafay: La sagesse de Duhamel. Minard, Paris 1984, ISBN 2-85210-022-3 (La thèosothèque; 14).
Reinhard Palm: Ein Glücklicher. Zum 100. Geburtstag von Georges Duhamel. In: Die Presse, 23. Juni 1984.
César Santelli: Duhamel. Bordas, Paris 1947 (Hommes du jour; 3).
Marcel Saurin: Les écrits de Duhamel. Essai de bibliographie générale. Mercure de France, Paris 1951.
Ludwig Schrader: Georges Duhamel, Vie et Aventures de Salavin. In: Walter Pabst (Hrsg.): Der moderne französische Roman. Interpretationen. Berlin 1968, S. 134–149.
Pierre-Henri Simon: Duhamel ou le bourgeois sauvé. Editions du Temps Présent, Paris 1947.
André Terrisse: Georges Duhame éducateur. Nathan, Paris 1951.
Lisa Wehrli: Mensch und Stil im Werke Duhamels. Villger Verlag, Zürich 1937 (zugl. Dissertation, Universität Zürich).
Hans Zehrer: Georges Duhamel. Kron Verlag, Oettingen 1928 (zugl. Dissertation, Universität Königsberg/P. 1928).
Jacques J. Zéphir: Bibliographie duhamélienne. Nizet, Paris 1972.[4]
Einzelnachweise
↑ abWinfried Engler: Lexikon der Französischen Literatur.