Gurjewsk (russischГурьевск, prußischRomaw), deutschNeuhausen, ist das administrative Zentrum eines Rajons mit 26.760 Einwohnern (Stand 1. Oktober 2021)[1] in der russischenOblast Kaliningrad. Der Ort ist seit 2013 Verwaltungssitz der kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Gurjewsk.
Die Ortschaft liegt in der historischen Region Ostpreußen, sieben Kilometer nordöstlich von Königsberg (Kaliningrad).
Geschichte
Der Ort wurde 1262 als Neuhausen gegründet. Um 1540 wurde er unter den Bezeichnungen Neuhauß, Neuhausen, Newghaus oder Lisga Neughaus erwähnt. Der prußische Name Romaw bzw. Ramawan (heiliger Wald) weist auf eine heidnische Kultstätte (prußisch romus, ramus: ruhig, still, andächtig, heilig) hin.
Am 1. April 1927 hatte der Gutsbezirk Neuhausen eine Flächengröße von 505 Hektar, und am 16. Juni 1925 hatte der Gutsbezirk 529 Einwohner.[2] Am 15. November 1928 wurde der Gutsbezirks Neuhausen in die Landgemeinde Neuhausen eingegliedert.[3]
1935 wurde in Neuhausen eine Niederlassung des Behring-Instituts in Betrieb genommen.[4]
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Neuhausen wie der gesamte Nordteil Ostpreußens besatzungsrechtlich unter sowjetische Verwaltung gestellt. Der Ort erhielt 1946 die Ortsbezeichnung Gurjewsk, benannt nach dem sowjetischen Generalmajor Stepan Gurjew (1902–1945), der bei den Kämpfen um Pillau ums Leben gekommen war; die Ortschaft erhielt zugleich das Stadtrecht.
Demographie
Bevölkerungsentwicklung bis 1945
Jahr
Einwohner
Anmerkungen
1782
–
königliches Domänenamt und Schloss, Forstamt, Amtsvorwerk, königliches Dorf und Erbpachtsmühle, mit einer Kirche und 38 Feuerstellen (Haushaltungen)[5]
1816
0329
davon 199 im Dorf, elf bei der Mühle und 119 auf dem Gut und Schloss[6]
1831
0503
davon 243 im Dorf und 161 auf dem Gut und Schloss sowie 99 auf dem zugehörigen Vorwerk Kleinheide[7]
1840
0421
davon 260 im Dorf und bei der Mühle sowie 161 auf dem Gut und Schloss[8]
1858
0554
sämtlich Evangelische, davon 314 im Dorf, 38 bei der Mühle und 202 auf dem Gut[9]
1864
0620
am 3. Dezember davon 497 im Dorf und 223 auf dem Gut[10]
1867
0702
am 3. Dezember, davon 505 in der Landgemeinde und 197 im Gutsbezirk[11]
1871
0609
am 1. Dezember, davon 393 in der Landgemeinde (sämtlich Evangelische) und 216 im Gutsbezirk (215 Evangelische und eine katholische Person)[11]
1910
0589
am 1. Dezember, Dorf und Rittergut, mit einer evangelischen Kirche, einem Krankenhaus, einer Spar- und Darlehenskasse und einer Molkerei, davon 409 in der Landgemeinde und 180 im Gutsbezirk[12][13]
Nach den Ergebnissen der allrussischen Volkszählung von 2010 waren 88,3 Prozent der Einwohner von Gurjewsk ethnische Russen. Daneben lebten in Gurjewsk auch 174 Deutsche, was einem Bevölkerungsanteil von 1,4 Prozent entsprach.[15]
1928 in eine Landgemeinde umgewandelt, 1938 in die Gemeinde Neuhausen eingegliedert
Neuhausen
Gurjewsk
1928 in die Landgemeinde Neuhausen eingegliedert
Schmeckenkrug
unbekannten Datums in die Landgemeinde Neuhausen eingegliedert
Sensen
Borowikowo
vor 1908 in eine Landgemeinde umgewandelt, 1934 in die Landgemeinde Knöppelsdorf eingegliedert
Aufgrund der Umstrukturierungen gehörten am 1. Januar 1945 noch die vier bisher eingegliederten Gemeinden Knöppeldorf, Neuhausen, Prawten und Berthaswalde zum Amtsbezirk Neuhausen, außerdem die 1939 aus dem Amtsbezirk Quednau (russisch: Sewernaja Gora) umgegliederte Gemeinde Ziegelau (heute nicht mehr existent).
Burg Neuhausen
Die Burg Neuhausen wurde 1292 im samländischen Domkapitel (Sitz in Königsberg) gebaut. Südlich des Schlosses am Ende des Mühlenteichs blieb die Hausmühle des Deutschen Ordens (der spätere Eichenkrug) in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Turm und Seitengiebel der Kirche trugen Blenden und Staffelgiebel. Außerhalb der Burg entstand 1528 eine Lischke. Ein Schneider, ein Schuster und ein Schmied erhielten von Albrecht (Brandenburg) zusammen eine Hufe Acker. Nach 1525 war das Schloss eine Zeitlang Sitz des Bischofs von SamlandGeorg von Polenz. Im Ehevertrag von 1550 verschrieb Herzog Albrecht die Burg seiner zweiten Frau Anna Maria von Braunschweig-Calenberg-Göttingen als Leibgedinge. Hier brachte sie 1553 den Sohn Albrecht Friedrich zur Welt, und hier starb sie am 15. März 1568.[17] Den älteren Teil der Burg ließ Albrecht umbauen.[4]
In einem reichen Jagdgebiet gelegen, war Neuhausen der bevorzugte Aufenthaltsort des jagdliebenden Herzog Georg Wilhelm. 1770 wurde die Burg Sitz der Domänenverwaltung und des Justizamts.[17] Für seine Verdienste in den Befreiungskriegen vergab Friedrich Wilhelm III. 1814 Schloss und Domäne zusammen mit Gut Grünhoff bei Cranz an General Friedrich Wilhelm Bülow von Dennewitz. Später gehörte das Schloss zum Besitz der Familien Luckner und Massow. Der Schlosspark und der Forst um die Kleinbahnstation Neuhausen-Tiergarten mit dem Etablissement Freiwald waren ein beliebtes Ausflugsziel der Königsberger.[4]
Mühlenfließ
„Das Neuhausener Mühlenfließ war dort zu einem Teich aufgestaut, so daß die Gegend, auch durch
ihren Baumbestand, reizvoll war. Der Krug bestand 60 Jahre später noch im alten Zustand als
Landgaststätte mit harten Stühlen und einfachen Tischen. Er war damals der Sammelplatz bei
herbstlichen Reitjagden. Da die zahlungskräftigen Ausflügler später die Bahn zur See benutzten,
führte er ein stilles Dasein und veränderte sich nicht nach den Wünschen einer anspruchsvolleren
Gesellschaft.“
Die alte Pfarrkirche[19][20] – sie wird auch heute noch „Kirche Neuhausen“ (russisch: Кирха Нойхаузен) genannt – aus dem Ende des 13. Jahrhunderts ist ein chorloserFeldsteinbau mit Backsteinturm. Sie liegt östlich der Fernstraße A 190 und war mehr als 400 Jahre evangelische Gottesdienststätte. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie beschädigt. Sie diente dann als Club und als Lagerhalle und verfiel dabei immer mehr, auch aufgrund mehrerer Brände.
Seit 1991 ist das Gotteshaus im Besitz der Neuapostolischen Kirche und wieder in einem guten Zustand.
In Gurjewsk befindet sich eine Erdölraffinerie. Auf dem Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes Neuhausen befindet sich neben einigen städtischen Einrichtungen die Geflügelfarm Ptizefabrika Gurjewskaja. In Chrabrowo (Powunden) liegt der Flughafen Kaliningrad. Durch das Stadtgebiet verlaufen die A190 (Russland) und die Bahnstrecke Kaliningrad–Sowetsk nach Tilsit.
Sehenswürdigkeiten
Schloss Neuhausen (Halbruine), eine Deutschordensburg von 1295/97
Evangelische Kirche
Museum
Stadtverwaltung
Wohngebiet Leninstraße
Neubauviertel Jasny
Kunstschule, Museum
Gurjew-Denkmal
Söhne der Stadt
Otto Besch (1885–1966), Komponist und Musikkritiker
Martin Kähler (1835–1912), protestantischer Theologe
Daniel Heinrich Arnoldt: Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandnen Predigern. Königsberg 1777, S. 36–38.
Leopold Krug: Die Preussische Monarchie; topographisch, statistisch und wirthschaftlich dargestellt. Nach amtlichen Quellen. Teil I: Provinz Preussen. Berlin 1833, S. 60, Ziffer 18, und S. 67, Ziffer 31.
Karl Emil Gebauer: Kunde des Samlandes oder Geschichte und topographisch-statistisches Bild der ostpreußischen Landschaft Samland. Königsberg 1844, S. 97–99, Ziffer 14.
Agathon Harnoch: Chronik und Statistik der evangelischen Kirchen in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Nipkow, Neidenburg 1890, S. 15–16 (Google Books).
Adolf Boetticher: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen. Band 1: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Samlandes. Königsberg 1898, S. 94–100 (Google Books).
Neuhausen, Dorf und Rittergut, Landkreis Königsberg, Regierungsbezirk Königsberg, Provinz Ostpreußen, mit Eintrag aus Meyers Orts- und Verkehrslexikon, Ausgabe 1912, sowie einer historischen Landkarte der Umgebung von Neuhausen (meyersgaz.org).
G. Gerullis: Die altpreußischen Ortsnamen. Berlin, Leipzig 1922
Hans Heinz Diehlmann: Die Türkensteuer im Herzogtum Preußen 1540, Band 1 Fischhausen – Schaaken – Neuhausen – Labiau. Verein für Familienforschung in Ost- und Westpreußen, Hamburg 1998
Mikkels Klussis: Deutsch-Prußisches Grundwörterbuch. Institut Européen des Minorités Ethniques Dispersées mit Unterstützung des deutsch-prußischen Vereins Tolkemita, Vilnius 1999
↑ abТаблица 1.10 «Численность населения городских округов, муниципальных районов, муниципальных округов, городских и сельских поселений, городских населенных пунктов, сельских населенных пунктов» Программы итогов Всероссийской переписи населения 2020 года, утвержденной приказом Росстата от 28 декабря 2021г. № 963, с данными о численности постоянного населения каждого населенного пункта Калининградской области. (Tabelle 1.10 „Bevölkerungsanzahl der Stadtkreise, munizipalen Rajons, Munizipalkreise, städtischen und ländlichen Siedlungen [insgesamt], städtischen Orte, ländlichen Orte“ der Ergebnisse der Allrussischen Volkszählung von 2020 [vollzogen am 1. Oktober 2021], genehmigt durch die Verordnung von Rosstat vom 28. Dezember 2021, Nr. 963, mit Angaben zur Zahl der Wohnbevölkerung jedes Ortes der Oblast Kaliningrad.)
↑Kurt Albrecht: Die preußischen Gutsbezirke, in: Zeitschrift des Preussischen Statistischen Landesamts, 67. Jahrgang, Berlin 1927, S. 344–477, insbesondere S. 372, 7. Landkreis Königsberg i. Pr., Ziffer 66 (Google Books).
↑Johann Friedrich Goldbeck: Volständige Topographie des Königreichs Preußen. Teil I: Topographie von Ost-Preußen. Marienwerder 1785, Anhang Volständige Topographie vom Ost-Preußischen Cammer-Departement, S. 122 (Google Books).
↑Alexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preussischen Staats. Band 3: Kr–O, Halle 1822, S. 274, Ziffer 990–992 (Google Books).
↑Leopold Krug: Die Preussische Monarchie; topographisch, statistisch und wirthschaftlich dargestellt. Nach amtlichen Quellen. Teil I: Provinz Preussen. Berlin 1833, S. 60, Ziffer 18 (Google Books), und S. 67, Ziffer 31 (Google Books).
↑Karl Emil Gebauer: Kunde des Samlandes oder Geschichte und topographisch-statistisches Bild der ostpreußischen Landschaft Samland. Königsberg 1844, S. 127, 4. Neuhausen, Ziffer 16–17 (Google Books).
↑Adolf Schlott: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Königsberg, nach amtlichen Quellen. Hartung, Königsberg 1861, S. 135, Ziffer 254–256 (Google Books).
↑ ab Königliches Statistisches Bureau: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Preussen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 bearbeitet und zusammengestellt. Berlin 1874, S. 30–31, Ziffer 68 (Google Books), und S. 36–37, Ziffer 226 (Google Books).
↑Neuhausen, Dorf und Rittergut, Landkreis Königsberg, Regierungsbezirk Königsberg, Provinz Ostpreußen, mit Eintrag aus Meyers Orts- und Verkehrslexikon, Ausgabe 1912, sowie einer historischen Landkarte der Umgebung von Neuhausen (meyersgaz.org).