NordbahnviertelDas Nordbahnviertel (auch Nordbahnhofviertel) ist ein teilweise noch im Bau befindliches Stadtviertel im 2. Wiener Gemeindebezirk Leopoldstadt. Es ist etwa 85 Hektar groß[1] und befindet sich auf dem Areal des früheren Nordbahnhofs und späteren „Frachtenbahnhof Wien Nord“. Die Geschichte des Stadtentwicklungsgebiets reicht bis 1978 zurück. Die Magistratsabteilung 18 (Stadtstrukturplanung) veröffentlichte damals eine erste städtebauliche Studie zur Entwicklung des ehemaligen Frachtenbahnhofsgeländes.[2] Die Fertigstellung des Quartiers wird für 2030 erwartet. Bis dahin sollen dort 20.000 Menschen wohnen und 20.000 Arbeitsplätze geschaffen worden sein.[3] LageDas Nordbahnviertel wird wie folgt begrenzt:
Der Name Nordbahnviertel bezeichnete ursprünglich das an die Nordbahnstraße unmittelbar westlich angrenzende Stadtviertel zwischen Heinestraße und Taborstraße.[4] Heute wird diese Gegend nördlich der Straße Am Tabor als Alliiertenviertel (nach der Alliiertenstraße) und südlich davon als Volkertviertel (nach dem Volkertmarkt) bezeichnet. Das Gelände des ehemaligen Frachtenbahnhofs wird erst seit etwa 2010 so bezeichnet.[5] Im Nahbereich des Nordbahnviertels befinden sich der Hauptstrom der Donau mit dem Naherholungsgebiet Donauinsel, die Reichsbrücke, der Wiener Prater und der Praterstern. Etwas weiter westlich schließt das Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnviertel mit dem Augarten an. GeschichteBis zur ersten Wiener Donauregulierung im späten 19. Jahrhundert war das gesamte Gebiet ein Teil der Donauauen, das von den beiden großen Armen Kaiserwasser und Fahnenstangenwasser durchströmt wurde. Am 7. April 1837 wurde am noch unregulierten Donauufer des Kaiserwassers mit dem Bau des Kopfgebäudes des ersten Wiener Nordbahnhofs begonnen. Er bildete den Ausgangspunkt der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn. Teile des Areals wurden dazu aufgeschüttet, das Gebäude befand sich auf der etwa vier Meter hohen Dammkante an der Forstmeisterallee (heute Nordbahnstraße).[6] Im Südosten des Areals befand sich bereits die zur ersten k.k. Militär- und Zivil-Schwimmschule führende Schwimmschulallee. 1949 wurde diese, nach mehreren Namenswechseln, in Lassallestraße umbenannt. Nach der 1875 abgeschlossenen Donauregulierung konnte schließlich das gesamte Gebiet rechts des Hauptstroms trockengelegt und genutzt werden. Haupteinnahmequellen des Bahnbetriebes waren der Kohle- und Gütertransport aus Mähren, Schlesien und Galizien nach Wien, daher wurde das Frachtenbahnhofsareal bis zum Ersten Weltkrieg zunehmend vergrößert. Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 wurde die Bahnstrecke zerschnitten und verstaatlicht. Der Kohletransport verlor in den Folgejahren zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung. Der Personenverkehr wurde nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in der Zeit des Eisernen Vorhangs auf andere Bahnhöfe verlagert und aufgegeben. Die ÖBB bündelten das Frachtaufkommen zunehmend außerhalb des Stadtgebietes, spätestens mit dem Baubeginn des Zentralverschiebebahnhofs Wien-Kledering 1978 wurde der Bahnbetrieb am Nordbahnhof endgültig obsolet. Im selben Jahr erschien die erste städtebauliche Studie zur Umwidmung des Bahnhofsgeländes in ein Stadtentwicklungsgebiet.[2] Die Bautätigkeiten sollten aber erst in den 1990er Jahren im Vorfeld der geplanten Weltausstellung Expo 95 Fahrt aufnehmen.[7] QuartiersentwicklungStädtebauliches Leitbild 1994Bereits 1978 publizierte die Magistratsabteilung 18 (Stadtstrukturplanung) eine erste städtebauliche Studie zur Entwicklung des ehemaligen Frachtenbahnhofsgeländes.[2] 1979 gaben die ÖBB vereinzelte Flächen an der Lassallestraße für die Bebauung mit Bürogebäuden frei. Im Vorfeld der geplanten Weltausstellung Expo 95 erwarb die Stadt Wien schließlich weitere Grundstücke von den ÖBB, um am Areal eine gemischte, dichte, richtungsweisende „Stadt der Zukunft“ zu errichten.[7] 1991 bis 1993 wurde unter Leitung der MA 21A das Städtebauliche Leitbild Nordbahnhof entwickelt. Aus dem Wettbewerb für das Gestaltungskonzept ging der Entwurf von Heinz Tesar und Boris Podrecca als Sieger hervor, 1994 wurde die Umsetzung vom Wiener Gemeinderat beschlossen.[8][9] Wesentliche Ziele des Leitbildes waren:
Der Entwurf sah eine weitgehend geschlossene Blockrandbebauung vor. Quer durch das Quartier sollte sich ein zentraler Boulevard, die Riesenradstraße (heute Bruno-Marek-Allee) ziehen. Es waren drei, nur vergleichsweise kleine Grünareale vorgesehen: der etwa drei Hektar große Leopoldspark (heute Rudolf-Bednar-Park), die bereits damals als artenreich erkannte „ökologisch wertvolle Fläche“ im Nordwesten (Freie Mitte, als Stadtwildnis) und Sportflächen östlich der Bahnstrecke.[9] Das Quartier sollte in mehreren Bauabschnitten verwirklicht werden. 1999 begannen die Bauarbeiten an der Lassallestraße. Weitere Etappen im Norden folgten. Der auf dem östlichen Geländeteil nahe Vorgartenstraße und Haussteinstraße gelegene, 31.000 Quadratmeter große Rudolf-Bednar-Park, benannt nach dem Bezirksvorsteher 1977–1984, wurde 2008 eröffnet. 2010 wurde an der Ernst-Melchior-Gasse unweit des Parks der Campus Gertrude Fröhlich-Sandner (Kindergarten und Volksschule für bis zu 670 Kinder) fertiggestellt.[11] An der Bruno-Marek-Allee wurde von der Signa Holding bis 2018 zwischen Jakov-Lind-Gasse / Rothschildplatz und Walcherstraße nach Plänen von Boris Podrecca (er ging aus einem zweistufigen Wettbewerb als Sieger hervor) der Austria Campus errichtet, von dem die Hälfte von der Unicredit Bank Austria für ihre neue Zentrale gemietet wurde.[12] Die Bruttogeschoßfläche der Bauten (fünf bis sechs Stockwerke hohe Bürogebäude für 9.000 Arbeitsplätze, Hotel mit etwa 200 Zimmern, Betriebsrestaurants und -kindergarten, Geschäftslokale und Kunstsammlung) wurde mit 200.000 Quadratmeter angegeben, die Investition mit 490 Millionen Euro.[13][14][15] Städtebauliches Leitbild 2014Gegen 2011 hatten sich mehrere Rahmenbedingungen seit dem städtebaulichen Leitbild 1994 geändert:
Die Wiener Stadtplanung und die ÖBB lobten daher einen neuen städtebaulichen Ideenwettbewerb zur Optimierung der bisherigen Planung aus.[16] Als Sieger ging das Projekt Freie Mitte – Vielseitiger Rand von Bernd Vlay und Lina Streeruwitz hervor. Es wurde 2014 von der Stadtentwicklungskommission zur Kenntnis genommen.[17] An Stelle der flächigen Blockrandbebauung aus dem Leitbild 1994 trat mit dem neuen Konzept eine zentrale, großräumige Grünfläche. Die Bebauung sollte sich am Rand des Parks konzentrieren, akzentuiert durch ein Ensemble aus acht Hochhäusern. Im Oktober 2015 verkauften die ÖBB den noch in ihrem Besitz befindlichen, restlichen Teil des Areals an ein Immobilienkonsortium. Die Käufergruppe bestand aus der Wiener Städtischen Versicherung und den Bauträgern Raiffeisen Evolution Project Development GmbH und ÖVW. Für Kritik sorgte, dass der Verkauf ohne öffentliche Ausschreibung erfolgte. Weiters war das Areal ohne Umweltverträglichkeitsprüfung entwickelt worden.[18][19] Im Zuge der Fortschreibung des städtebaulichen Leitbilds in Bezug auf die Hochhausentwicklung wurde 2017 beschlossen, nur sechs (statt acht) Hochhäuser zu errichten.[20][21] Sie wurden mit Höhen zwischen 60 und 95 Meter geplant, im April 2019 standen die Siegerprojekte fest.[22] Das mit 95 Metern höchste Gebäude wurde „Schneewittchen“ getauft und steht an der Kreuzung Bruno-Marek-Allee/Taborstraße.[23] Im Bereich Bruno-Marek-Allee / Leystraße wurde im September 2020 mit der Adresse Taborstraße 120 der Christine-Nöstlinger-Bildungscampus der Stadt Wien eröffnet.
Freie MitteWesentlicher Bestandteil des Städtebaulichen Leitbildes 2014 ist eine 9,3 Hektar große Natur- und Parkfläche im Nordwesten des Nordbahnviertels: die Freie Mitte. Der Altbaumbestand und zahlreiche Infrastrukturelemente des alten Frachtenbahnhofs bleiben hier, ergänzt durch neue Bäume und heimische Sträucher, erhalten. Auf dem lange brachliegenden Areal konnten sich zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten wie Neuntöter, Segelfalter, mehrere Fledermausarten, Zauneidechsen, Wechselkröten und Große Wiesenameisen ansiedeln. Die Freie Mitte besteht aus den Teilen:
InfrastrukturWasserturmEiner der letzten baulichen Reste des alten Nordbahnhofs ist der Wasserturm in der Leystraße 152. Im Jahr 1977 wurde bereits ein Abbruchbescheid durch das Verkehrsministerium erlassen, die Demolierung fand aber aus ungeklärten Umständen nicht statt. Seit 13. November 1998 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.[28] Eine Erneuerung des Dachstuhls fand 2012 statt. Ende 2024 startet der Umbau in einen Restaurantbetrieb durch die ÖBB Immobilienmanagement GmbH. Die Fertigstellung wird für Sommer 2026 erwartet.[29] NordbahnhalleVon 2017 bis 2019 wurde die ehemalige Lagerhalle der Firma IMGRO im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojektes „Mischung: Nordbahnhof“ unter der Leitung der Technischen Universität Wien als Impulslabor Nordbahnhalle zwischengenutzt.[30] Unter anderem wurden Co-Working-Plätze, Werkstätten, Bildungsräume, Veranstaltungsräume und eine Kantine errichtet.[31] Das Impulslabor wurde für die vielfältigen Aktivitäten der Projekt- und Kooperationspartner und auch für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen und Events verwendet.[32][33] Die Wiener Stadtplanung etablierte in der Halle den sogenannten Stadtraum als Informationszentrum über die aktuelle Stadtteilentwicklung im Nord- und Nordwestbahnhof.[34] Das Ende der Zwischennutzung wurde kontrovers diskutiert, es bildeten sich Initiativen gegen die Abtragung der Halle.[35] Nach dem Teilabriss im September 2019 brach im November 2019 im verbliebenen Teil der Nordbahn-Halle ein Großbrand aus.[36] Das Übergreifen auf den denkmalgeschützten Wasserturm konnte verhindert werden. Im Dezember 2019 wurde mit der kompletten Abtragung der durch den Brand schwer beschädigten Nordbahnhalle begonnen.[37] EisenbahnbrückeIm zentralen Bereich ist eine Eisenbahnbrücke als Fußgängerbrücke erhalten geblieben. Sie ist eine der ältesten Eisenbahnbrücken Österreichs. Das heute grün gestrichene Stahlgerüst wurde 1876 als Teil des Verbindungsgleises zur Donauuferbahn errichtet,[38] die Brückenpfeiler stammen aus dem Jahr 1838.[39] Rumänisch-Orthodoxe KircheIm September 2017 wurde der Grundstein zur rumänisch-orthodoxen Kirche „Zur Heiligen Auferstehung“ in der Bruno-Marek-Allee gelegt. Außenerscheinung und Ausgestaltung lehnen sich an die Bukowina-Klöster an, insbesondere (was das Freskenprogramm betrifft) an die Klosterkirche Voroneț,[40] allerdings ist die Grundform mehr aufs Wesentliche reduziert.[41] Das für den Schutz der Fresken erforderliche vorkragende Dach wird transparent ausgeführt. Neues Straßennetz2009–2013 hat der Wiener Gemeinderat auf dem Nordbahnhofgelände damals großteils noch nicht gebaute Verkehrsflächen benannt:
Folgende bestehenden Verkehrsflächen wurden zur Verlängerung auf das Nordbahnhofgelände vorgesehen: 2016 wurde die Kreuzung Bruno-Marek-Allee / Jakov-Lind-Straße Rothschildplatz benannt. 2018 wurde der direkt an den Praterstern anschließende Teil der Walcherstraße nach dem 2019 dort fertiggestellten Gebäude der Wiener Wirtschaftskammer Straße der Wiener Wirtschaft benannt. Die Abzweigung vom Praterstern selbst wurde 2019 Anitta-Müller-Cohen-Platz benannt. Öffentlicher VerkehrAm Rand bzw. in der Nähe des Viertels liegen die U-Bahn-Stationen Praterstern und Vorgartenstraße. Am 3. Oktober 2020 wurde die Straßenbahnlinie O in das Neubauareal verlängert. Sie biegt an der Nordbahnstraße rechts ab, unterquert auf einem Rasengleis die Nordbahn und verkehrt auf der Bruno-Marek-Allee bis zur Endschleife zwischen Wasserturm und Christine-Nöstlinger-Campus. Außerdem verkehrt in der Gegend die Buslinie 82A, die beim Bildungscampus Gertrude Fröhlich-Sandner eine Station hat. Weiters ist eine Tangentiallinie 12 geplant, die das Viertel über das Nordwestbahnviertel mit dem Franz-Josefs-Bahnhof verbinden soll.[42] WeblinksCommons: Nordbahnviertel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
Koordinaten: 48° 13′ 37″ N, 16° 23′ 38,8″ O |