Vernichtungslager
Vernichtungslager, auch Todeslager oder umgangssprachlich emphatisch Todesfabriken genannt, werden eine Reihe von besonderen Konzentrationslagern (KZ) genannt, die in der Zeit des Nationalsozialismus von SS-Totenkopfverbänden im besetzten Polen und Belarus speziell für den Massenmord an Juden aus ganz Europa und weiteren von den Nationalsozialisten verfolgten Personengruppen genutzt wurden. Von ihrer Errichtung ab dem Jahr 1941 bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee der Sowjetunion 1944 und 1945 wurden in diesen Vernichtungslagern mehr als drei Millionen Menschen vor allem durch Gaskammern in einer oft als industriell bezeichneten Form ermordet. Die Vernichtungslager nehmen damit neben den Massenerschießungen im Zuge des Überfalls auf die Sowjetunion eine zentrale Rolle im Völkermord an den Juden ein. Unterscheidung von anderen KonzentrationslagernKonzentrations- und Vernichtungslager der NS-Diktatur entstanden in unterschiedlichen zeitlichen Stadien von deren Herrschaft. Bereits ab 1933 begann das NS-Regime mit der Einrichtung von Konzentrationslagern. Die Vernichtungslager mit fabrikmäßig organisierter Ermordung von Menschen in Gaskammern wurden ab Frühjahr 1942 betrieben. Zuvor waren im Vernichtungslager Kulmhof in einer ersten Phase ab Dezember 1941 Juden in dort stationierten Gaswagen ermordet worden. Im Gegensatz zu anderen Konzentrationslagern, wo Inhaftierte neben einzelnen Morden vor allem durch systematisch herbeigeführte Krankheit und Unterernährung sowie übermäßige Arbeit starben, die „Vernichtung durch Arbeit“, dienten die Vernichtungslager dem unmittelbaren Zweck der Ermordung der dorthin Deportierten, die mit speziellen Eisenbahnzügen in die Lager gebracht wurden. Nachdem ein Transport das Lager erreicht hatte, wurden die Angekommenen meistens ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Arbeitsfähigkeit in den Gaskammern ermordet. Nur aus manchen Transporten wurde eine geringe Anzahl arbeitsfähiger Menschen zurückgehalten, die für bestimmte Funktionen im Lager wie etwa in der Küche, als Totengräber, Leichenverbrenner sowie im Sortier- und Reparaturbetrieb vom NS-Regime benötigt wurden. Aus der Existenz von Konzentrationslagern machten die Nationalsozialisten bereits 1933 keinen Hehl, dienten diese doch der Abschreckung. Die Vernichtungslager hingegen unterlagen strenger Geheimhaltung. Zur Tarnung wurde der Massenmord sogar im internen Schriftverkehr nur mit „Sonderbehandlung“, „Säuberung“, „Umsiedlung“ oder „Evakuierung“ umschrieben. Von der SS wurden die Vernichtungslager als Konzentrationslager bezeichnet. Auch ihre internen Organisationsstrukturen waren weitgehend identisch. Die Benennung Vernichtungslager erfolgte erst später in der Geschichtswissenschaft und in Gerichtsprozessen und dient der näheren Kategorisierung. ÜbersichtKonzentrationslager des SS-WVHADie Konzentrationslager, die von der SS-Inspektion der Konzentrationslager gegründet wurden und zumeist bis Kriegsende Bestand hatten, sind im engeren Sinn gemeint, wenn von den „Konzentrationslagern“ die Rede ist. Nach einem Befehl Heinrich Himmlers durften nur solche Lager offiziell als Konzentrationslager, kurz K. L., bezeichnet werden, die der Inspektion der Konzentrationslager und später dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) unterstellt waren. Bei den 1941/42 neu gebauten Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Majdanek/Lublin kam von Beginn an die als „Endlösung“ bezeichnete massenhafte Vernichtung der als Feinde des Nationalsozialismus betrachteten Minderheiten wie der Juden, der Roma oder von sowjetischen Militärangehörigen hinzu. Die beiden Vernichtungslager in der Hierarchie des SS-WVHA werden deshalb in dieser Tabelle separat genannt.
Vernichtungslager der Aktion ReinhardtDie hier aufgeführten Vernichtungslager wurden im Rahmen der so genannten Aktion Reinhardt gegründet. Diese Lager befanden sich auf dem Gebiet des Generalgouvernements Polen und wurden formal in der Verantwortung des jeweiligen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) betrieben.
EntstehungZwischen Ende 1941 und Juli 1942 wurden sechs große Vernichtungslager in den im Osten von der Wehrmacht eroberten Gebieten in Betrieb genommen. Insbesondere sollten die mit den zuvor – hauptsächlich durch die Einsatzgruppen der SS und des SD – praktizierten Erschießungen verbundenen „Probleme“ vermieden werden:
Ziel der Vernichtungslager war demzufolge die vollständige physische Vernichtung der Opfer inklusive aller sterblichen Überreste sowie die Isolierung und Abschirmung gegenüber der Gesellschaft und den nicht unmittelbar zugeordneten Teilen von Armee und Verwaltung. Ein wichtiges Merkmal war die Anbindung der Lager an das Schienennetz der Reichsbahn bzw. der Nachbarländer, damit sollte die Zuführung vorher zusammengestellter „Transporte“ und somit eine planmäßige und wirtschaftlich rationalisierte Massentötung – mithin die von den Nationalsozialisten als „Endlösung“ bezeichnete Ausrottung der europäischen Juden – ermöglicht werden. Als Vernichtungslager wurden 1941/42 folgende acht Einrichtungen zur Durchführung des Massenmordes an den europäischen Juden betrieben: Auf 1939 annektiertem ReichsgebietDiese 1939 besetzten und rechtswidrig annektierten Reichsgebiete gehörten seit den 1920er Jahren zur Polnischen Republik bzw. (Stutthof) zum Gebiet der Freien Stadt Danzig, eine Folge der Gebietsveränderungen nach dem Ersten Weltkrieg. (Die Ziffern beziehen sich auf die Daten der Inbetriebnahme.)
Auf dem Gebiet des GeneralgouvernementsDas Generalgouvernement bestand überwiegend aus 1939 besetzten Teilen von Polen.
Im Bezirk des Reichskommissariats OstlandDie folgenden Lager, die sich im belarussischen Gebiet des von Deutschland auf sowjetischem Boden errichteten Reichskommissariats Ostland befanden, werden in der internationalen Holocaustforschung meist (noch) nicht mit zu den Vernichtungslagern gezählt. Einzelheiten wurden erst spät bekannt; die Opfer wurden meist erschossen und die Opferzahlen sind im Vergleich mit den vorgenannten Vernichtungslagern geringer – siehe dazu die Einzelartikel.
TötungstechnikenIn den Vernichtungslagern wurden drei unterschiedlich technisierte Formen des Massenmordes betrieben:
Organisation und InstanzenMit der Durchführung der Endlösung der Judenfrage in den Vernichtungslagern waren ab Herbst 1941 drei verschiedene zentrale nationalsozialistische Instanzen, das Reichssicherheitshauptamt, die Kanzlei des Führers, das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, beauftragt:
Information und Konfrontation im NachkriegsdeutschlandNach der Befreiung der KZ-Häftlinge und deren medizinischer Versorgung sahen die Alliierten die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen zu konfrontieren. In den Konzentrationslagern wurden die unglaublichen Verbrechen sichtbar – auch für Menschen, die nicht bereits Augenzeugen der Verbrechen gewesen waren. Die örtliche Bevölkerung aus der Nachbarschaft der KZs wurde gezwungen, Lagerteile und Leichen der dort Ermordeten anzusehen. An verschiedenen Standorten von Lagern wurde sie auch gezwungen, Tote in würdigen Gräbern zu bestatten. Dabei ging es um unbestattete Leichen oder Umbettungen von Leichen aus Massengräbern. Es wurden mehrfach Filmdokumentationen und Fotobände für Vorführungen im besetzten Deutschland und Österreich hergestellt. Erstes Beispiel ist der Film Die Todesmühlen, im Original Death Mills. Er setzt sich überwiegend aus Filmmaterial zusammen, das in kurz zuvor befreiten KZs gedreht wurde – unter anderem in Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Treblinka und Bergen-Belsen. Der Film ist nur mit ernster klassischer Musik unterlegt und hat keine Rahmenhandlung. Er geht auch auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Häftlinge ein. Die Dokumentationen wurden zum Teil auch als Beweismittel für allfällige Gerichtsverfahren gegen Beteiligte, z. B. in den Nürnberger Prozessen oder im Frankfurter Auschwitzprozess erstellt. Siehe auch
Dokumentarfilme, Dokumentarfilmszenen
Literatur
WeblinksWiktionary: Vernichtungslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Todeslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Einzelnachweise
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