Die Wahl zum SPD-Parteivorsitz 2019 wurde durch den Rücktritt der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles im Juni 2019 notwendig. Erstmals seit 1993 hat ein Votum aller Parteimitglieder in zwei Wahlgängen die neue Parteispitze bestimmt. Dabei wurde eine Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gewählt. Die formelle Wahl des Duos erfolgte auf dem SPD-Bundesparteitag am 6. Dezember 2019.[1]
Von 2017 bis 2019 gab es mehrere Führungswechsel bei der SPD. So schlug der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nach acht Jahren im Amt im Januar 2017 Martin Schulz als Kanzlerkandidaten und gleichzeitig als neuen Parteivorsitzenden vor. Nach der Bundestagswahl im September 2017, bei der die SPD ihren niedrigsten Wert bei Bundestagswahlen erreicht hatte (20,5 %), schloss Schulz eine Beteiligung an einer erneuten Großen Koalition aus, und kündigte an, dass die SPD in die Opposition gehen werde.[2] Die nach der Wahl misslungenen Gespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition führten dazu, dass BundespräsidentFrank-Walter Steinmeier die SPD zu Gesprächsbereitschaft aufforderte.[2] Daraus resultierte ein erneuter Kurswechsel der Partei, wobei zunächst auf Parteitagen Sondierungsgesprächen und Koalitionsgesprächen zugestimmt, und per Mitgliedervotum der neuerliche Eintritt in die Große Koalition beschlossen wurde.[3][4][5] Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen erklärte Martin Schulz, den Parteivorsitz an Andrea Nahles abgeben zu wollen.[6][7] Am 13. Februar 2018 erklärte er seinen Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden, woraufhin Olaf Scholz die Partei kommissarisch bis zur Wahl von Nahles am 23. April 2018 führte.
Nach starkem innerparteilichen Druck wegen des historisch schlechten Ergebnisses der SPD bei der Europawahl 2019 gab Nahles am 2. Juni 2019 bekannt, dass sie den Parteivorsitz aufgeben wolle, und vollzog ihren Rücktritt tags darauf.[8][9] Danach wurde die SPD kommissarisch von den drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel geführt. Schwesig legte dieses Amt am 10. September 2019 aufgrund einer Krebserkrankung nieder; Schäfer-Gümbel wurde am 1. Oktober 2019 Arbeitsdirektor bei der GIZ und legte daher ebenfalls den kommissarischen Parteivorsitz nieder.[10][11]
Wegen des zwiespältigen innerparteilichen Umgangs mit Nahles und dem zuletzt häufigen Wechsel im Parteivorsitz wurden Stimmen nach einer Mitgliederbeteiligung zur Klärung der Nachfolgefrage laut. Ebenso wurde vorgeschlagen, dass die Partei von einer Doppelspitze geführt werden solle. Am 24. Juni 2019 beschloss der SPD-Parteivorstand das Prozedere zur Besetzung des künftigen Parteivorsitzes.[12] Per Beschluss vom 2. Juli 2019 wurde das Verfahren weiter konkretisiert.[13]
Verfahren
Allgemein
Der SPD-Parteivorstand warb in seinem Beschluss dezidiert für die Einführung einer Doppelspitze (Team), bestehend aus zwei gleichberechtigten Kandidaten, darunter mindestens eine Frau, obwohl das laut Organisationsstatut der SPD bisher nicht vorgesehen war. Gleichzeitig waren auch Einzelbewerbungen möglich, die dann in Konkurrenz zu den Teams antreten. Eine Kandidatur konnte nur dann erfolgen, wenn sie die Unterstützung von mindestens fünf Unterbezirken, einem Bezirk bzw. einem Landesverband der Partei findet. Die Bewerbungsfrist lief vom 1. Juli bis zum 1. September 2019.[14]
Die sich daraus ergebenden Kandidaten erhielten auf 23 Regionalkonferenzen die Möglichkeit, sich parteiintern vorzustellen. Daraufhin erfolgte eine Mitgliederbefragung gemäß § 14 Abs. 11 SPD-Organisationsstatut. Der erste Abstimmungszeitraum war vom 14. Oktober bis zum 25. Oktober 2019. Die Abstimmung fand online und per Briefwahl durch alle SPD-Mitglieder, die bis zum 16. September 2019 Mitglied geworden waren, statt. Das Abstimmungsergebnis wurde am 26. Oktober 2019 verkündet. Da kein Wahlvorschlag eine absolute Mehrheit erreichte, folgte eine zweite Mitgliederbefragung, in der es zu einer Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Wahlvorschlägen der ersten Mitgliederbefragung Klara Geywitz/Olaf Scholz und Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans kam. Hätte der zweitplatzierte Wahlvorschlag nicht mehr für die zweite Abstimmung antreten wollen, wäre Platz 1 der Wahlvorschlag der SPD-Mitglieder gewesen.[14][13]
Die formelle Entscheidung für eine Doppelspitze, für die eine Satzungsänderung notwendig war, sowie die Wahl für den Parteivorsitz fand am 6. Dezember auf dem SPD-Parteitag in Berlin statt. Dabei folgten die Delegierten dem Wahlvorschlag der Mitglieder. Dies hätte nicht zwangsläufig der Fall sein müssen, weil die Delegierten in ihrer Entscheidung grundsätzlich frei sind. Das verabredete Verfahren kam nur mit mindestens zwei Wahlvorschlägen in Gang. Außerdem war eine Mitgliederbeteiligung von mindestens 20 % erforderlich.[14]
Zeitablauf
24. Juni 2019: Beschluss des Prozederes zur Besetzung des Parteivorsitzes durch den Parteivorstand
1. Juli 2019 – 1. September 2019: Bewerbungsphase
16. September 2019: Stichtag bis zu dem SPD-Mitgliedschaft erlangt werden muss, um an Mitgliederbefragung(en) teilnehmen zu können
4. September 2019 – 12. Oktober 2019: Vorstellung der Kandidaten auf 23 Regionalkonferenzen[15]
14. – 25. Oktober 2019: Erste Mitgliederbefragung
26. Oktober 2019: Veröffentlichung des Ergebnisses der ersten Mitgliederbefragung
19. – 29. November 2019: Zweite Mitgliederbefragung mit Stichwahl zwischen Erstem und Zweitem aus der ersten Mitgliederbefragung
30. November 2019: Veröffentlichung des Ergebnisses der zweiten Mitgliederbefragung[13]
6. Dezember 2019: Bundesparteitag in Berlin mit formeller Wahl des Parteivorsitzes und formelle Implementierung einer Doppelspitze[12]
Kandidaturen
Die final zur Mitgliederbefragung antretenden Kandidaturen wurden vom eigens eingesetzten SPD-Wahlvorstand Anfang September benannt. Um zur Wahl zugelassen zu werden, mussten die Kandidaten die Unterstützung durch einen Landesverband, einen Bezirk oder fünf Unterbezirke der Partei vorweisen.[13]
Nominierte Kandidaturen
fett: Kandidaten, die es in die Stichwahl geschafft haben
bis zum Ende der Bewerbungsphase ohne gültige SPD-Mitgliedschaft[51]
Nicht angetretene Führungspersönlichkeiten
Einige Führungspersönlichkeiten der Partei wurden als mögliche Kandidatinnen und Kandidaten für den Parteivorsitz gehandelt, schlossen aber (teilweise frühzeitig) eine Kandidatur ihrerseits aus:
Zur Vorstellung der Kandidatinnen und Kandidaten gegenüber der SPD-Basis waren 23 Regionalkonferenzen in allen Bundesländern angesetzt. Die erste Regionalkonferenz fand am 4. September 2019 in Saarbrücken statt, die letzte wurde am 12. Oktober 2019 in München abgehalten.[60][15]
Die erste Abstimmungsrunde erfolgte vom 14. bis zum 25. Oktober 2019 und ergaben die angegebenen Ergebnisse. Die Stichwahl zwischen den beiden Duos Olaf Scholz & Klara Geywitz und Norbert Walter-Borjans & Saskia Esken fand vom 19. November bis zum 29. November 2019 statt.[87]
Prozentwerte beziehen sich auf die Anzahl der abgegeben gültigen Stimmen.
Stimmberechtigte Mitglieder
425.630
100,0 %
425.630
100,0 %
Abgegebene Stimmen
226.775
53,28 %
230.215
54,09 %
Zulässige Stimmen
214.956
217.175
Gültige Stimmen
213.693
216.721
Ungültige Stimmen
1.263
454
Parteitagsergebnis
Am 6. Dezember 2019 wurde auf dem Berliner SPD-Bundesparteitag das siegreiche Duo der Mitgliederbefragung formell zu Parteivorsitzenden gewählt. Saskia Esken erhielt 75,9 % und Norbert Walter-Borjans 89,2 % der Delegiertenstimmen.[1]
Literatur
Markus Feldenkirchen: Willy werden. Karl Lauterbach kämpfte mit linken Positionen dafür, Parteivorsitzender zu werden – eine Nahaufnahme. In: Der Spiegel. Nr.44, 26. Oktober 2019, S.36ff.
NDR: Kevin Kühnert und die SPD. Oktober 2021 (sechsteilige Langzeitdokumentation u. a. zu Kevin Kühnerts Rolle als Unterstützer von Esken und Walter-Borjans)[89]
↑Nahles-Nachfolge: Simone Lange bewirbt sich erneut um SPD-Vorsitz. In: Spiegel Online. 2. August 2019 (spiegel.de [abgerufen am 4. September 2019]).
↑dpa: Parteien: SPD-Duo Lange/Ahrens zieht zugunsten von Esken/Walter-Borjans zurück. In: Die Zeit. 4. September 2019, ISSN0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 4. September 2019]).
↑SPON: Mattheis und Hirschel ziehen Kandidatur um SPD-Vorsitz zurück. In: spiegel.de. Hamburg 12. Oktober 2019 (spiegel.de [abgerufen am 12. Oktober 2019]).
↑Peter Carstens, Berlin: F.A.Z. exklusiv: Familienministerin Giffey stellt Rücktritt in Aussicht. ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. August 2019]).
↑ZEIT ONLINE: SPD: Hubertus Heil lehnt Kandidatur für Parteivorsitz ab. In: Die Zeit. 15. Juni 2019, ISSN0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 3. Juli 2019]).
↑Lars Klingbeil: #UnsereSPD. In: YouTube. 20. August 2019, abgerufen am 20. August 2019.
↑Christoph Hickmann, Veit Medick, Christian Teevs: Juso-Chef Kevin Kühnert: "Ich trete nicht an". In: Spiegel Online. 28. August 2019 (spiegel.de [abgerufen am 28. August 2019]).