Kurt BormKurt Walter Werner Borm (* 25. August 1909 in Lichtenberg bei Berlin; † 2001 in Suderburg)[1][2] war im nationalsozialistischen Deutschen Reich SS-Hauptsturmführer und im Rahmen der Aktion T4 als Arzt in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein in Pirna sowie als Mitarbeiter in der Zentraldienststelle T4 in Berlin tätig. Herkunft und StudiumKurt Borm wurde am 25. August 1909 in Lichtenberg bei Berlin als Sohn eines Stadtamtsrats und Leiter des Wohlfahrtsamtes geboren. Er legte nach Besuch des Gymnasiums im März 1929 das Abitur ab und begann ein Medizinstudium an der Universität Berlin. Nach vier Semestern studierte Borm in Rostock weiter,[3] wo er das Physikum im Oktober 1932 ablegte und 1934 wieder nach Berlin zurückkehrte. Ein durch finanzielle Probleme verzögertes Studium schloss er nach 16 Semestern im August 1937 mit dem ärztlichen Staatsexamen und der Note „genügend“ ab. Borm, der in seiner Studienzeit bei der Berliner Burschenschaft Normannia aktiv war, trat durch Studienkollegen animiert bereits zum 1. Dezember 1930 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 410.614).[4] Am 4. November 1933 wurde er Mitglied der Allgemeinen SS (Mitgliedsnummer 203.962). Im September 1938 erhielt Borm nach Beendigung der Pflichtassistenz seine Approbation. Als Assistenzarzt war er für ein Jahr in der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses „Am Urban“ in Berlin tätig. Im November 1939 heiratete Borm. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. KriegseinsatzSchon im Herbst 1938 meldete Borm sich freiwillig zur Teilnahme an einer zweimonatigen Übung der SS-Totenkopfverbände. Als Musterungsarzt wurde er schließlich im Sudetenland eingesetzt. Am 11. September 1939 meldete sich Borm als Freiwilliger zur Leibstandarte SS „Adolf Hitler“. In dieser Formation der SS-Verfügungstruppe, aus der die Waffen-SS entstand, wurde er als Truppenarzt in Prag und München eingesetzt und am 20. April 1940 zum SS-Obersturmführer befördert. Anschließend wurde er der Sanitäts-Inspektion der Waffen-SS in Berlin zugewiesen. In der NS-Tötungsanstalt SonnensteinAm 20. September 1940 wurde Borm mit der Weisung beurlaubt, sich für eine Sonderaufgabe bei der Kanzlei des Führers zu melden. Nach dem Krieg schilderte er dies wie folgt:
In der Zentraldienststelle T4 wurde Borm unter der Rubrik „Ärzte in den Anstalten“ ab 25. November 1940 geführt.[7] Borm gab an, im Dezember 1940 in der ihm zugewiesenen Vergasungsanstalt Sonnenstein in Pirna eingetroffen zu sein und dort vom Anstaltsleiter Horst Schumann in die einzelnen Abteilungen und seinen Aufgabenbereich eingewiesen worden zu sein. Schumann sagte hierzu später aus:
Borm hingegen stritt in seinem Prozess ab, die Tötung der Kranken durch die Bedienung des Gashahns selbst eingeleitet zu haben:
Wie für alle T4-Ärzte üblich, verwandte auch Borm im Schriftverkehr nicht seinen richtigen Namen, sondern den Tarnnamen „Dr. Storm“. Ebenso wie sein Kollege Klaus Endruweit war er mit seiner Tätigkeit in Sonnenstein unzufrieden, da er sich nicht ausgelastet und fachlich unterfordert fühlte. Moralische oder rechtliche Bedenken hatte er indes nicht. In der NS-Tötungsanstalt Bernburg vertrat er im März 1941 für einige Wochen den dortigen Vergasungsarzt Heinrich Bunke, der wegen des „Examen rigorosum“ beurlaubt worden war. Anschließend hospitierte er für mehrere Wochen am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch bei Julius Hallervorden. Mit dem Stopp der „Aktion T4“ durch die Weisung Hitlers vom 24. August 1941 wurden auch die Vergasungen in der Anstalt Sonnenstein eingestellt. In einer von Viktor Brack geleiteten Tagung in Pirna, an der vom T4-Personal die Ärzte sowie die Büro- und Wirtschaftsleiter sämtlicher Vergasungsanstalten teilnahmen, wurde auch die weitere Verwendung des frei gewordenen T4-Personals besprochen. Brack kündigte an, dass ein Teil des Personals im folgenden Winter im Rahmen der Organisation Todt zu Sanitätszwecken eingesetzt werden sollte. So nahm auch Borm vom 15. Januar bis zum 15. März 1942 an einer Hilfsaktion für die Verwundeten der Winterschlacht 1942 mit dem Stützpunkt in Wyasma-Gshatsk teil. In der Zentraldienststelle T4Nach Rückkehr aus Russland wurde Borm in der Berliner Zentraldienststelle der T4-Organisation als Mitarbeiter von Hermann Paul Nitsche, dem ärztlichen Leiter der Aktion T4, eingesetzt. Borm redete später die Bedeutung seiner Tätigkeit in der T4-Zentrale klein und bezeichnete sich als „ein Dr. Nitsche zugeordneter medizinischer Hilfsarbeiter“.[10] Auch wenn er nicht zu den T4-Führungspersonen zählte, war er doch an verantwortlicher Stelle in die Durchführung des „Euthanasie“-Programms eingebunden. Dies wurde auch durch den Beförderungsvorschlag Werner Blankenburgs, dem Leiter des Amtes IIa der Kanzlei des Führers, vom 6. März 1943 für das Führungshauptamt, Amtsgruppe D, Sanitätswesen der Waffen-SS, bestätigt, in dem es hieß:
Die vorgeschlagene Beförderung zum SS-Hauptsturmführer erfolgte am 20. April 1943. Ab Oktober 1942 untersuchte Borm nach § 42 Strafgesetzbuch in Sicherungsverwahrung genommene Geisteskranke in diversen Strafanstalten auf ihre Arbeitsfähigkeit. Auch für die sogenannte zweite Phase des „Euthanasie“-Programms, der Aktion Brandt, war Borm durch die Beschaffung von Medikamenten und deren Verteilung an die entsprechenden Anstalten tätig. Unterbrochen wurde seine Beschäftigung in der Zentraldienststelle T4 durch die Beurlaubung für einen Assistentendienst wiederum in der Inneren Abteilung des Berliner Krankenhauses „Am Urban“. Diese Zeit von acht Monaten nutzte Borm für seine Dissertation über das Thema „Ein außergewöhnlicher Fall von paroxysmaler Tachycardie“, die er am 9. Februar 1943 der Berliner Medizinischen Fakultät vorlegte. Trotz dieser Unterbrechung blieb Borm bis Kriegsende Mitarbeiter der Zentraldienststelle T4. Nach dem KriegNach Kriegsende ging Borm nach Schleswig-Holstein und fand im Juni 1945 eine Anstellung im Städtischen Krankenhaus von Uetersen. Bei den Einstellungsgesprächen verschwieg er bewusst seine Vergangenheit. Er wurde in der Inneren Abteilung eingesetzt. Nach nochmaliger internistischer Ausbildung rückte er zum leitenden Arzt auf. Verhaftung und ProzessObwohl mindestens vier Monate vor der Verhaftung bekannt war, wer Borm war und wo er sich aufhielt wurde er erst am 13. Juni 1962 festgenommen, jedoch schon am 29. Juni 1962 unter diversen Auflagen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Er ließ sich daraufhin wieder in Uetersen als praktischer Arzt nieder. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erhob am 15. Januar 1965 Klage gegen ihn und die T4-Ärzte Bunke, Endruweit und Ullrich wegen Beihilfe zum Mord an mehreren tausend Geisteskranken. Da der Staatsanwaltschaft Zweifel kamen, ob Borm nicht noch weitere Straftaten vorzuwerfen seien und damit noch weiter ermittelt werden müsse, wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt. Die übrigen Angeklagten wurden im sogenannten ersten Ärzteprozess mit Urteil des Landgerichts Frankfurt/M. vom 23. Mai 1967[12] freigesprochen. Am 7. August 1970[13] hob der Bundesgerichtshof das Urteil wegen sachlicher Widersprüche auf. Nunmehr wurde aus „prozessökonomischen Gründen“ auch das Verfahren gegen Borm wieder mit dem Verfahren gegen die übrigen Mitangeklagten verbunden, da weitere Vorwürfe gegen ihn nicht weiter verfolgt wurden.[14] Der neue Prozess sollte am 16. Dezember 1971 beginnen. Am 26. November 1971 wurde das Verfahren gegen Bunke wegen vorläufiger Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Desgleichen geschah am 15. Dezember 1971 mit Ullrich und am 6. Februar 1972 mit Endruweit, so dass das Verfahren nur noch gegen Borm weiterbetrieben werden konnte. Am 6. Juni 1972 sprach ihn das Gericht frei. Borm habe zwar objektiv Beihilfe zur Tötung von mindestens 6652 Geisteskranken geleistet, jedoch könne ihm nicht nachgewiesen werden, dass er schuldhaft gehandelt habe, da ihm „unwiderlegbar das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit“ seines Tuns gefehlt habe. Das „Unerlaubte“ seiner Handlung sei für ihn nicht erkennbar gewesen, denn:
Damit wurde gerichtlich gebilligt, was Borm zu den Tatvorwürfen im Verfahren äußerte:
Die Bestätigung des Freispruchs von Borm durch den Bundesgerichtshof veranlasste 15 prominente Künstler, Schriftsteller, Politiker und Journalisten, unter ihnen Joseph Beuys, Norbert Blüm, Heinrich Böll, Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, Ulrich Wickert, zu einem offenen Brief an Bundespräsident Gustav Heinemann, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 10. Juni 1974 veröffentlicht wurde. Da sich die Begründung des Freispruches allein auf die Feststellung stützte, Borm sei zur Tatzeit überzeugter Nationalsozialist gewesen, wurde dem Gericht eine Privilegierung gerade der Gesinnung vorgeworfen, „gegen deren unbewältigtes Grauen diese Republik vor 25 Jahren geschaffen wurde.“ Nach dem Freispruch war Borm wieder einige Jahre in Uetersen als praktischer Arzt tätig und hatte weiterhin „großen Zulauf“ von Patienten. Sein Wohnhaus wurde in dieser Zeit öfter Ziel von Mahnwachen und Farbanschlägen. Kurt Borm wohnte bis 1998 noch in Uetersen und zog anschließend zu einem seiner Söhne. Er verstarb 2001 in Suderburg (Niedersachsen). Literatur
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Einzelnachweise
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