Pellagra
Pellagra ist eine Erkrankung, die durch Mangel an Nicotinsäure, einem Vitamin aus dem B-Komplex, ausgelöst wird. Pellagra (Nicotinsäure-Avitaminose) trat geschichtlich häufig auf, wenn die Nahrung hauptsächlich aus Mais oder Sorghumhirse bestand. Die darin vorliegende gebundene Form der Nicotinsäure (Niacytin) kann vom Körper nicht verwertet werden. Diese Krankheit war vor Kenntnis der Zusammenhänge in armen Regionen Süd- und Osteuropas sowie Amerikas weit verbreitet. In den Ursprungsländern des Maises wurde dieser dagegen zum Verzehr alkalisch verarbeitet (Nixtamalisation), wodurch die Nicotinsäure durch den Körper verwertbar wird. GeschichteMais wurde nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus als eine der ersten Pflanzen nach Europa gebracht, wo sie sich aufgrund der hohen Ernteerträge rasch verbreitete. Bald trat in Gegenden mit hohem Maiskonsum eine seltsame Erkrankung auf, die nach dem Leitsymptom Pellagra ‚raue Haut‘ genannt wurde. In der wissenschaftlichen Literatur tauchte der Begriff erstmals 1771 in einer Schrift des Mailänder Arztes Francesco Frapolli auf. Er war aber bereits vorher im Volksmund in der norditalienischen Tiefebene, einem Verbreitungsgebiet der Krankheit, in Gebrauch gewesen.[1]
Der Zusammenhang von Pellagra und hohem Maiskonsum (etwa in Form der Polenta) wurde erstmals im 18. Jahrhundert vermutet. Erklärungen der damaligen Zeit waren verschimmelter oder vergifteter Mais,[2] Ansteckung oder Vererbung. Joseph Goldberger und Kollegen bewiesen dann Anfang des 20. Jahrhunderts, dass sowohl die sogenannte Pellagra des Menschen als auch die Schwarze-Zunge-Krankheit des Hundes durch Fehlernährung entsteht, welche Conrad Elvehjem 1937 auf einen Nicotinsäuremangel zurückführen konnte. Auch Adriano Sturli erforschte zu dieser Zeit die Ätiologie der Pellagra.[3][4] Heutzutage tritt Pellagra in der Regel nur noch in armen Gegenden Afrikas oder bei extremer Fehl- oder Mangelernährung,[5] zum Beispiel bei Magersucht, auf. Die Entdeckung, dass Pellagra mit Bierhefe behandelbar ist, führte in den betroffenen Gebieten zu einer schlagartigen Verringerung der Anzahl der Insassen von Nervenheilanstalten. In Analogie dazu setzten die Ärzte Abram Hoffer und Humphry Osmond in der sogenannten Mega-Vitamintherapie hohe Dosen Nicotinsäure zur Behandlung von Schizophrenien ein. Sie gingen davon aus, dass wenn die im Rahmen einer Pellagra aufgetretenen Symptome der Schizophrenie durch die Behandlung mit Nicotinsäure verschwinden, diese vielleicht auch Schizophrenien anderer Ursache beeinflussen könnte. Bereits 1936 hatte der deutsche Psychiater Paul Honekamp die These aufgestellt, Schizophrenie beruhe auf einem Vitamin-B-Mangel, den er mit einem Präparat aus kalt getrockneter Bierhefe zu beheben versuchte[6]. Hoffers und Osmonds Überlegungen führten zur orthomolekularen Psychiatrie, einer Form der orthomolekularen Medizin, die jedoch aufgrund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht Bestandteil der modernen evidenzbasierten Medizin ist. Der Schriftsteller Lew Kopelew beschrieb in seinem autobiografischen Roman Aufbewahren für alle Zeit! seine eigene Pellagra-Erkrankung Ende 1945 im Strafgefangenenlager Suchobeswodnaja, die unter anderem mit Sonderrationen geronnenem Blut auskuriert wurde. In den sowjetischen Gulags bestand die Ernährung neben dünner Gemüsesuppe hauptsächlich aus Buchweizengrütze:
– Lew Kopelew (1979) UrsacheGenerell: Einseitige, nicotinsäurearme Ernährung. Speziell: Hauptsächliche Ernährung mit alkalisch unbehandeltem oder ungeröstetem Mais oder hauptsächliche Ernährung mit Sorghumhirse, da hierin nur eine für den menschlichen Organismus (ohne chemische Veränderung bzw. Molekülspaltung) nicht verwertbare Form der Nicotinsäure enthalten ist, das Niacytin, welches in unveränderter Form vom menschlichen Körper nicht aufgenommen werden kann.[7] Jeder Patient, der an pellagraartigen Symptomen erkrankt und bei dem der für diese Krankheit typische ernährungsbedingte Niacinmangel nicht nachvollziehbar ist, sollte auf das Vorhandensein des Gendefekts für die Hartnup-Krankheit untersucht werden. FolgenNicotinsäure ist für zahlreiche Oxidations- und Reduktionsvorgänge (Wasserstoffübertragungen) im Körper nötig. Die Folgen eines Mangels sind Krankheiten wie Pellagra, welche sich in Juckreiz, Rötungen der Haut, Entzündungen der Schleimhäute des Verdauungstraktes, schmerzhafte Verdickung der Haut sowie Braunfärbung und Schäden im zentralen Nervensystem äußern. Der Ausfall von Nicotinsäureamid hat auch Auswirkungen auf die Hämoglobinbildung und kann zur „Pellagra-Anämie“[8] führen. Symptome und KrankheitsverlaufKennzeichen sind unter anderem:
„Unter Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Fieber treten hauptsächlich Darmstörungen, nervöse Symptome wie Tremor, Lähmungen, Krämpfe und psychische Störungen, sowie Erscheinungen von Seiten der Haut auf; in schweren Fällen kann das Krankheitsbild in Wochen zum Tode führen, meist aber erstreckt der Verlauf sich über Jahre.“[9] Hautveränderungen bilden sich typischerweise an den dem Sonnenlicht ausgesetzten Stellen (Hände, Unterarme, Gesicht, Nacken). Die psychischen Erkrankungen werden mit Tryptophanmangel in Zusammenhang gebracht. Der 1945 im sowjetischen Gulag einsitzende Dissident Alexander Solschenizyn beschreibt die Pellagra-Symptome wie folgt:
– Alexander Solschenizyn (1974) BehandlungDie Behandlung beinhaltet üblicherweise eine direkte Gabe von Nicotinsäure oder Nicotinamid[10] (genannt auch PP-Faktor, pellagra preventing factor). Die Therapie sollte außerdem B-Vitamine, Zink, Magnesium sowie eine energiereiche Diät beinhalten.[11] Präventiv eingesetzt werden können Lebensmittel, die reich an Nicotinsäure sind: Eier, Kleie, Erdnüsse, Fleisch (Geflügel, Fisch, rotes Fleisch), Hülsenfrüchte und verschiedene Samen. Auf Alkohol sollte verzichtet werden.[11] LiteraturBücher
Zeitschriften
WeblinksEinzelnachweise
Information related to Pellagra |