Revolte im Erziehungshaus (Film)
Revolte im Erziehungshaus ist ein deutscher Stummfilm aus dem Jahre 1930, den Georg Asagaroff nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Peter Martin Lampel für die Grohnert-Film-Produktion (Berlin) gedreht hatte. Der Film erzählt die Leidensgeschichte dreier Jungen, die in eine Erziehungsanstalt gesteckt und dort lieblos und brutal behandelt werden, bis sie schließlich Widerstand leisten und die anderen Jungen zur Revolte gegen die engstirnige Anstaltsleitung anstiften. Die Handlung beruht auf realen Begebenheiten, wie sie vom Verfasser Lampel selbst erlebt und aufgezeichnet wurden.[1] Revolte im Erziehungshaus muss heute als verschollen gelten. Erhalten sind nur etwa 30 Standbilder daraus, sie wurden 2012 in der Ausstellung „Verratzt und verkooft - Fürsorgeerziehung in Struveshof“ in der Mensa 2 des Landesinstituts für Schulen und Medien LISUM Berlin-Brandenburg gezeigt.[2] HandlungEin Fürsorgeheim in den 1920er-Jahren. Die Erzieher versuchen, vom Pfarrer unterstützt, den nicht zuletzt aufgrund der eigenen sexuellen Not zunehmend aufsässigen Zöglingen mit Zucht und Ordnung beizukommen. Dabei sind die Forderungen, die von einigen Jungen an die Anstaltsleitung gestellt werden, weder radikal noch unanständig. Als sie rundweg abgelehnt werden, kommt es zu einem Aufstand, der rasch eskaliert in der Plünderung der Vorratskammer und dem Versuch, das Gebäude anzuzünden. Die Revolte wird von herbeigerufenen Landjägern gewaltsam niedergeschlagen: die Anführer werden verhaftet und der Rest wird auf andere Anstalten verteilt, in denen es den Zöglingen nicht besser ergehen wird. Am Ende hat sich weder an den alten, autoritären Strukturen einer „Erziehung“ ohne jegliche Pädagogik oder gar Psychologie noch an den menschenunwürdigen Zuständen etwas geändert.[3] BesetzungDarsteller der Jugendlichen waren Carl Ballhaus aus dem Ensemble der Volksbühne Berlin, der schon Erfahrung mit der Rolle problematischer Heranwachsender aus Filmen wie Die Siebzehnjährigen und Frühlingserwachen (beide 1929) mitbrachte (danach sollte er noch den Gymnasiasten Ertzum in Der Blaue Engel spielen), die blutjunge Toni van Eyck, die ähnliche Erfahrungen in Geschminkte Jugend (1929) und ebenfalls in Frühlingserwachen sammeln konnte, und Wolfgang Zilzer, der nicht nur als Darsteller zurückhaltend-schüchterner Charaktere auf der Leinwand,[4] sondern auch als Refrainsänger auf Schallplatte erfolgreich war.[5] Auch Ilse Stobrawa war bereits in Jugendfilmen wie Die Republik der Backfische (1928) und Der Kampf der Tertia (1929) aufgetreten. Veit Harlan hatte neben ihr eine kleine Rolle. Die Rolle des Erzieher-Eleven war Rudolf Plattes Debüt vor der Filmkamera; bis dahin hatte er nur Theater gespielt. Produktion und HintergrundDas Drehbuch schrieben W. Solsky und Herbert Rosenfeld, die Bauten schuf der russischstämmige Filmarchitekt Andrej Andrejew. Die Aufnahmeleitung hatte L. Gransky. Für die Photographie zeichneten Curt Oertel und Alexander von Lagorio verantwortlich. Die Kinomusik schrieb und dirigierte Werner Schmidt-Boelcke.[6] Die literarische Vorlage zum Film, das Schauspiel der Gegenwart in drei Akten „Revolte im Erziehungshaus“, 1928 im Thalia-Theater Berlin von Hans Deppe mit der „Gruppe junger Schauspieler“ uraufgeführt, gilt als das erste Dokumentarspiel des deutschen Theaters. Es basiert auf Recherchen des Autors Peter Martin Lampel in öffentliche Fürsorgeheimen Preußens. Lampel selbst war Praktikant in einer Berliner Einrichtung[7] und hat seine Erfahrungen in dem Buch „Jungen in Not“ zu Papier gebracht. Es führte nach teilweise heftigen Diskussionen letztlich dazu, dass der Reichstag ein Gesetz zur Reform der Fürsorgeerziehung insgesamt verabschiedete.[3] ZensurDer Film musste einen wahren Zensur-Marathon durchlaufen, ehe er endlich gezeigt werden durfte[8] : Nach Vorlage bei der Berliner Filmprüfstelle (zur Zensur : 6 Akte, 2916 m) am 26. Juli 1929, Nr. B.22979, erhielt der Film zunächst Jugendverbot. Bei einer weiteren Vorlage bei der Oberprüfstelle am 3. August 1929, Nr. O.00474, wurde der Film in der Länge von 6 Akten ganz mit Verbot belegt. Es folgten
Erst nach Schnittänderungen, in deren Folge die „revolutionäre Aussage“ gemildert worden war, wurde er freigegeben.[9] Der Film wurde schließlich am 8. Januar 1930 in Berlin uraufgeführt. Jugendliche waren nicht zugelassen. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde der Film am 22. April 1933 von der Film-Oberprüfstelle in der Länge von 6 Akten / 2477 m. ganz verboten. KritikBesprochen wurde der Film u. a. in der Frankfurter Zeitung Nr. 26, in der Neuen Preußischen Kreuz-Zeitung Berlin Nr. 11 und in der Roten Fahne Berlin Nr. 8 vom 10. Januar 1930.[10] „Das üble Tendenzstück das schon auf der Bühne lebhaften Widerspruch der Bevölkerung hervorrief, hat aufs Neue die Köpfe der Berliner heißgemacht. Die Leidenschaften werden aufgepeitscht und ein Haß gezüchtet, der sich verderblich auswirken muß […] Die Welturaufführung fand vor einem Gremium statt, das wie eine kommunistische Parteiversammlung anmutete.“ – (Neue Preußische Kreuz-Zeitung Berlin Nr. 11 vom 10. Januar 1930) „Die größte Schwäche liegt in dem stark versöhnlich gehaltenen Schluß, wo u. a. der Führer der eintreffenden SchuPo väterliche Töne anschlägt, was freilich auch bei dem Lampelschen Stück der Fall war. Wir wissen nicht, ob die Filmbearbeitung hier das Kompromißlertum Lampels, seine polizeifrommen Konzessionen freiwillig oder erst unter dem Druck der Zensur mitmachte. Daß sie es überhaupt tat, schwächt den Eindruck des Ganzen und ist unser stärkster Vorwurf gegen den Film.“ – (Die Rote Fahne Berlin Nr. 8 vom 10. Januar 1930) „Man spürt aufs Deutlichste, wie er aus zwei Überlegungen zusammen gemacht ist: aus der Revolte, die ein Geschäft gewesen ist, und aus der Angst, dieses Geschäft durch den Zensor zerstört zu bekommen (…) Angenehm ist es nicht zu bedenken, daß dieser Film die geistige Nahrung für viele Menschen sein wird.“ – (Frankfurter Zeitung Nr. 26 vom 10. Januar 1930) „Die Filmschöpfer hatten Lampels Stück um eine Vorgeschichte erweitert, durch zusätzliche Szenen über die Erlebnisse des jungen Filmhelden Fritz vor seiner Einlieferung in das Fürsorgeheim, und waren dann erst auf die Revolte eingegangen. Dadurch schwankte der Film 'zwischen Auflockerung und Konzentration, zwischen Idylle und Revolte'(Herbert Jhering).“ – (Dahlke-Karl S. 212) „In seiner Inszenierung versuchte Asagaroff an frühe sowjetische Stummfilme anzuknüpfen, drehte Massenszenen, die aber keine ausschlaggebende Bedeutung erlangten. Der Film rechnet nicht mit dem bestehenden gesellschaftlichen System ab, sondern nur mit einer bestimmten staatlichen Einrichtung.“ – (Dahlke-Karl S. 213) „Wie sprichwörtlich die Gedankenverbindung des Autornamens Lampel mit Aufbegehren und Revolte im Berlin der späten Weimarer Republik geworden war, belegt die Zeile ‚Was schert uns die Ampel, jedermann sein Lampel, wir revoltier'n!‘ in dem Marschlied ‚Die Großstadt-Infanterie‘ aus der Nelson-Revue ‘Der rote Faden’“,[11] das Kurt Gerron mit seinem Vortrag bekannt gemacht hat. Es handelt vom Aufbegehren der Fußgänger gegen den immer bedrängender werdenden Autoverkehr. Selbst der bayrische „Märchenkönig“ Ludwig II. wurde mit Lampels Stück bzw. dessen Verfilmung in Verbindung gebracht: „Ludwig II. wurde in [Wilhelm] Dieterles Film zu einem Verwandten der von ihrer Umwelt verkannten Jugendlichen, etwa aus der ‚Revolte im Erziehungshaus‘.“[12] WiederbelebungDer Stoff wurde 1975 durch Hans Quest zu einem 90-minütigen Fernsehspiel verarbeitet und am 21. April 1975 im ZDF ausgestrahlt.[13] Literatur
WeblinksEinzelbelege
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