Die Marseillaise wurde von Claude Joseph Rouget de Lisle in der Nacht auf den 26. April 1792, zu Beginn des Ersten Koalitionskriegs im elsässischen Straßburg geschrieben und komponiert. Sie hatte zunächst den Titel Chant de guerre pour l’armée du Rhin, d. h. „Kriegslied für die Rheinarmee“, und war dem Oberbefehlshaber und Gouverneur von Straßburg, dem im Jahr zuvor zum Marschall von Frankreich ernannten Nikolaus Graf Luckner, gewidmet. Daher ertönt die Marseillaise noch heute täglich um 12:05 Uhr vom Glockenspiel auf dem Marktplatz in Cham in der Oberpfalz, dem Geburtsort des Grafen.
Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde bestritten, dass de Lisle Urheber der Marseillaise sei; Mitte des 19. Jahrhunderts und erneut 1915, anlässlich der Überführung von de Lisles Gebeinen in die Cathédrale Saint-Louis-des-Invalides in Paris, erschienen Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, denen zufolge die Melodie ausgerechnet von einem deutschen Komponisten (einem gewissen Organisten Holtzmann in Meersburg) stamme oder jedenfalls auf eine alte deutsche Melodie zurückgehe. Diese Behauptung taucht immer wieder auf (zumeist anekdotisch oder im Zusammenhang mit einer Polemik gegen französische Staatssymbole), obwohl sie spätestens seit 1922 als überzeugend widerlegt gelten kann.[1]
2013 präsentierte der italienische Geiger Guido Rimonda im Rahmen einer Gesamteinspielung der Violinkonzerte des zwischen 1782 und 1792 in Paris wirkenden berühmten Giovanni Battista Viotti ein bis dahin nicht bekanntes Tema con Variazioni in C-Dur für Violine und Orchester, dessen Thema (in seiner Gesamtheit) eindeutig die Melodie der Marseillaise ist;[2] wenn die Datierung des im Besitz von Rimonda befindlichen Manuskriptes mit 1781 echt ist, wäre Viotti der eigentliche Komponist der Melodie.[3][4][5]
Als Komponist der Marseillaise wird auch zuweilen Jean-Baptiste Lucien Grisons (1746–1815) angesehen, ein ansonsten fast unbekannter Kapellmeister und Organist in Saint-Omer. In seinem OratoriumEsther, das 1787 entstanden sein soll, gibt es eine Arie „Stances sur la Calomnie“, deren Einleitung eine starke Ähnlichkeit mit der späteren Nationalhymne aufweist.[6][7] Es wurde außerdem vermutet, dass die Melodie der Marseillaise von dem lange Zeit in Paris wirkenden Cembalisten und Komponisten Jean-Frédéric Edelmann (1749–1794) stammen könnte, zumal sich dieser ab 1789 und zur Zeit der Entstehung des Liedes in Strassburg aufhielt.[8]
In diesem Zusammenhang ist auch die Ähnlichkeit des Anfangs der Melodie mit dem ersten Satz des Flötenquintetts in C-Dur G. 420[9] von Luigi Boccherini aus dem Jahre 1773 zu erwähnen. Als weiterer möglicher Vorgänger des Motivs wird manchmal das 2. Thema des 1. Satzes in MozartsKlavierkonzert KV 503 von 1786 genannt, das jedoch nur eine sehr entfernte Verwandtschaft mit dem Kopfmotiv der Marseillaise hat und das Rouget de Lisle gar nicht gekannt haben kann, da es bis zum Zeitpunkt der Entstehung der Marseillaise nur von Mozart selber in Wien aufgeführt und erst später veröffentlicht wurde.[10]
Nationalhymne in Frankreich
Das Lied, vor allem der erste Vers, ist an das französische Volk gerichtet und soll dessen Mobilisierung dienen.[11] Es erhielt den Namen Marseillaise, weil es von Soldaten aus Marseille am 30. Juli 1792 beim Einzug in Paris, kurz vor dem Tuileriensturm, gesungen wurde.[12] Die Hymne erfreute sich bald großer Bekanntheit und Beliebtheit und wurde auf allen größeren Bürgerfesten der jungen Republik gesungen. 1793 verfügte der Nationalkonvent, dass die Marseillaise auf allen öffentlichen Veranstaltungen gesungen werden solle und auf Antrag des Abgeordneten Jean de Bry erklärte der Nationalkonvent am 14. Juli 1795 (26. messidor III) die Marseillaise per Dekret zum „französischen Nationalgesang“ (chant national). Die Marseillaise setzte sich dabei vor allem gegen Le Chant du Départ, ein anderes bekanntes Revolutionslied durch.[13]
In der Dritten Französischen Republik avancierte die Marseillaise per Beschluss der Abgeordnetenkammer vom 14. Februar 1879 wieder zur offiziellen Nationalhymne (hymne national) Frankreichs und blieb dies auch in der Vierten und Fünften Französischen Republik.[13] Zur Zeit des Vichy-Regimes (1940–1945) hatte das Lied Maréchal, nous voilà einen ähnlichen Rang wie die Marseillaise inne, auf welche es zu folgen oder die es sogar zu ersetzen pflegte.
Weitere Fassungen sind beispielsweise eine pazifistische Fassung (La Marseillaise pour le désarmément); ein Text für die Bewohner der ehemaligen Kolonien (La Marseillaise des Citoyens de couleur); eine Marseillaise „für alle, die das Leben lieben“ (La Marseillaise Bacchique); eine Version von 1973 von Serge Gainsbourg (Aux armes et caetera),[14] die für die Konservativen und Rechtsextremen Frankreichs zum Skandal geriet; oder die des in Frankreich sehr bekannten und populären Sängers, Komponisten und Übersetzers Graeme Allwright, die er 2005 mit Sylvie Dien verfasste als Antwort auf die Forderung des damaligen französischen Bildungsministers François Fillon, dass jedes Kind in Frankreich die Nationalhymne auswendig lernen solle.[15][16]
Antonio Salieri zitiert in der programmatischen Ouvertüre zu seiner Kantate Der Tyroler Landsturm (1799) die Marseillaise, um den Kampf der französischen Truppen gegen die Tiroler Bevölkerung darzustellen.
In den Strophen der peruanischen Nationalhymne zitiert deren Komponist José Bernardo Alcedo die ersten Takte der Marseillaise in der jeweils dritten und – hier in leichter Abwandlung – letzten Verszeile. Damit ist die 1821 offiziell angenommene Nationalhymne die einzige, die eine andere direkt musikalisch zitiert.
Der Paris-Walzer op. 101 (1838) von Johann Strauß Vater bringt kurz vor Schluss eine Dreivierteltaktversion der Marseillaise.
In die Ouvertüre zu Hermann und Dorothea h-Moll op. 136 (1851) von Robert Schumann sind die Anfangsmotive der Marseillaise eingeflochten; sie sollen den Abzug französischer Soldaten darstellen.
Von Ottmar Gerster wird die Marseillaise in der Festouvertüre 1948 verwendet, als Symbol des Niedergangs der feudalen Gesellschaft.
Claude Debussy zitiert zwei kurze Fragmente aus dem charakteristischen Vorspiel der Marseillaise in der Coda seines auf den französischen Nationalfeiertag anspielenden Prélude Feux d’artifice (Préludes II Nr. 12, T. 91–96).
In der Vertonung des Gedichtes Der reichste Fürst beginnt die jeweils letzte Verszeile der Strophen mit den Tönen der Marseillaise.
Die Beatles zitieren die ersten vier Takte der Marseillaise in der Einleitung zu ihrem Song All You Need Is Love (1967).
Das Glockenspiel am Stammhaus des Kölnisch-Wasser-Unternehmens 4711 in der Kölner Glockengasse spielt mehrmals täglich die Marseillaise, da die Bezeichnung des Unternehmens auf die Hausnummerierung während der Zugehörigkeit Kölns zu Frankreich (1794–1814) zurückgeführt wird.
Texte
Nationalhymne
Französischer Originaltext
Deutsche Übersetzung
Allons enfants de la Patrie,
Le jour de gloire est arrivé!
Contre nous de la tyrannie
L’étendard sanglant est levé. (2×)
Entendez-vous dans les campagnes
Mugir ces féroces soldats?
Ils viennent jusque dans vos bras
Égorger vos fils, vos compagnes.
Auf, Kinder des Vaterlandes,
Der Tag des Ruhmes ist gekommen!
Gegen uns ist der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben. (2×)
Hört ihr auf den Feldern
Diese wilden Soldaten brüllen?
Sie kommen bis in eure Arme,
Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden.
Refrain:
Aux armes, citoyens,
Formez vos bataillons,
Marchons, marchons!
Qu’un sang impur
Abreuve nos sillons!
(2×)
Refrain:
Zu den Waffen, Bürger,
Formiert eure Truppen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Dass unreines Blut
Tränke unsere Furchen!
(2×)
Que veut cette horde d’esclaves,
De traîtres, de rois conjurés?
Pour qui ces ignobles entraves,
Ces fers dès longtemps préparés? (2×)
Français, pour nous, ah! quel outrage
Quels transports il doit exciter!
C’est nous qu’on ose méditer
De rendre à l’antique esclavage!
Refrain
Was will diese Horde von Sklaven,
Von Verrätern, von verschwörerischen Königen?
Für wen diese gemeinen Fesseln,
Diese seit langem vorbereiteten Eisen? (2×)
Franzosen, für uns, ach! welche Schmach,
Welchen Zorn muss dies hervorrufen!
Man wagt es, daran zu denken,
Uns in die alte Knechtschaft zu führen!
Refrain
Quoi! des cohortes étrangères
Feraient la loi dans nos foyers!
Quoi! ces phalanges mercenaires
Terrasseraient nos fiers guerriers. (2×)
Grand Dieu! par des mains enchaînées
Nos fronts sous le joug se ploieraient.
De vils despotes deviendraient
Les maîtres de nos destinées!
Refrain
Was! Ausländische Kohorten
Würden über unsere Heime gebieten!
Was! Diese Söldnerscharen würden
Unsere stolzen Krieger niedermachen! (2×)
Großer Gott! Mit Ketten an den Händen
Würden sich unsere Häupter dem Joch beugen.
Niederträchtige Despoten würden
Über unser Schicksal bestimmen!
Refrain
Tremblez, tyrans, et vous perfides
L’opprobre de tous les partis,
Tremblez! vos projets parricides
Vont enfin recevoir leurs prix! (2×)
Tout est soldat pour vous combattre,
S’ils tombent, nos jeunes héros,
La terre en produit de nouveaux,
Contre vous tout prêts à se battre!
Refrain
Zittert, Tyrannen und ihr Niederträchtigen,
Schande aller Parteien,
Zittert! Eure verruchten Pläne
Werden euch endlich heimgezahlt! (2×)
Jeder ist Soldat, um euch zu bekämpfen,
Wenn sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen euch zu kämpfen.
Refrain
Français, en guerriers magnanimes,
Portez ou retenez vos coups!
Epargnez ces tristes victimes,
A regret s’armant contre nous. (2×)
Mais ces despotes sanguinaires,
Mais ces complices de Bouillé
Tous ces tigres qui, sans pitié,
Déchirent le sein de leur mère!
Refrain
Franzosen, ihr edlen Krieger,
Versetzt eure Schläge oder haltet sie zurück!
Verschont diese traurigen Opfer,
Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. (2×)
Aber diese blutrünstigen Despoten,
Aber diese Komplizen von Bouillé,
Alle diese Tiger, die erbarmungslos
Die Brust ihrer Mutter zerfleischen!
Refrain
Amour sacré de la Patrie,
Conduis, soutiens nos bras vengeurs.
Liberté, Liberté chérie,
Combats avec tes défenseurs! (2×)
Sous nos drapeaux que la victoire
Accoure à tes mâles accents,
Que tes ennemis expirants
Voient ton triomphe et notre gloire!
Refrain
Heilige Liebe zum Vaterland,
Führe, stütze unsere rächenden Arme.
Freiheit, geliebte Freiheit,
Kämpfe mit deinen Verteidigern! (2×)
Unter unseren Flaggen, damit der Sieg
Den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt,
Damit deine sterbenden Feinde
Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen!
Refrain
Nous entrerons dans la carrière
Quand nos aînés n’y seront plus,
Nous y trouverons leur poussière
Et la trace de leurs vertus! (2×)
Bien moins jaloux de leur survivre
Que de partager leur cercueil,
Nous aurons le sublime orgueil
De les venger ou de les suivre.
Refrain
Wir werden des Lebens Weg weiter beschreiten,
Wenn die Älteren nicht mehr da sein werden,
Wir werden dort ihren Staub
Und ihrer Tugenden Spur finden. (2×)
Eher ihren Sarg teilen
Als sie überleben wollend,
Werden wir mit erhabenem Stolz
Sie rächen oder ihnen folgen.
Refrain
Die Marseillaise der Kommune
1871 verfasste Jules Faure die „Marseillaise der Kommune“ (La Marseillaise de la Commune), welche von der Pariser Kommune als Hymne genutzt wurde.
Français, ne soyons plus esclaves!,
Sous le drapeau, rallions-nous.
Sous nos pas, brisons les entraves,
Quatre-vingt-neuf, réveillez-vous. (bis)
Frappons du dernier anathème
Ceux qui, par un stupide orgueil,
Ont ouvert le sombre cercueil
De nos frères morts sans emblème.
Refrain:
Chantons la liberté,
Défendons la cité,
Marchons, marchons, sans souverain,
Le peuple aura du pain.
Depuis vingt ans que tu sommeilles,
Peuple français, réveille-toi,
L’heure qui sonne à tes oreilles,
C’est l’heure du salut pour toi. (bis)
Peuple, debout! que la victoire
Guide au combat tes fiers guerriers,
Rends à la France ses lauriers,
Son rang et son antique gloire.
Refrain
Les voyez-vous ces mille braves
Marcher à l’immortalité,
Le maître a vendu ses esclaves,
Et nous chantons la liberté. (bis)
Non, plus de rois, plus de couronnes,
Assez de sang, assez de deuil,
Que l’oubli dans son froid linceul
Enveloppe sceptres et trônes.
Refrain
Plus de sanglots dans les chaumières
Quand le conscrit part du foyer;
Laissez, laissez, les pauvres mères
Près de leurs fils s’agenouiller. (bis)
Progrès! que ta vive lumière
Descende sur tous nos enfants,
Que l’homme soit libre en ses champs,
Que l’impôt ne soit plus barrière.
Refrain
N’exaltez plus vos lois nouvelles,
Le peuple est sourd à vos accents,
Assez de phrases solennelles,
Assez de mots vides de sens. (bis)
Français, la plus belle victoire,
C’est la conquête de tes droits,
Ce sont là tes plus beaux exploits
Que puisse enregistrer l’histoire.
Refrain
Peuple, que l’honneur soit ton guide,
Que la justice soit tes lois,
Que l’ouvrier ne soit plus avide
Du manteau qui couvrait nos rois. (bis)
Que du sien de la nuit profonde
Où l’enchaînait la royauté,
Le flambeau de la Liberté
S’élève et brille sur le monde!
Refrain
„Friedens-Marseillaise“
Lehrerverbände brachten den Text der 1892 nach dem Deutsch-Französischen Krieg von Schülern der Primarschule von Cempuis verfassten „Friedens-Marseillaise“[17] in Umlauf.
Deuxième couplet
Zweite Strophe
Quoi! d’éternelles représailles
Tiendraient en suspens notre sort!
Quoi, toujours d’horribles batailles
Le pillage, le feu, et la mort (2×)
C’est trop de siècles de souffrances
De haine et de sang répandu!
Humains, quand nous l’aurons voulu
Sonnera notre délivrance!
Wie? Diese immerwährende Vergeltung
zieht unser Schicksal in die Schwebe
Wie, immer die schrecklichen Schlachten
Die Plünderei, das Feuer und der Tod (2×)
Das ist zu viel, Jahrhunderte von Leiden,
von Hass und von vergossenem Blut!
Menschen, wenn wir es wollten,
können wir die Erlösung einläuten!
Trivia
Im Film Casablanca ordnet Victor László in Ricks Bar an, die Marseillaise zu spielen, um deutsche Soldaten zu übertönen, die Die Wacht am Rhein singen.
In dem einzigen erhaltenen Tondokument des Reichskanzlers Otto von Bismarck deklamiert der 74-Jährige 1889 auch aus der Marseillaise.
Vom Rathausturm von Cham (Oberpfalz) erklingt jeden Mittag die Marseillaise.
Stefan Zweig: Das Genie einer Nacht. Die Marseillaise, 25. April 1792. In: Sternstunden der Menschheit. 12 historische Miniaturen (= Fischer-Bücherei). Band595. Fischer, Frankfurt am Main u. a. 1964 (E-Text).
↑Edgar Istel: Is the Marseillaise a German Composition? (The History of a Hoax). In: The Musical Quarterly. Jg. 8 (1922), S. 213–226, ISSN0027-4631
↑Aufführung mit Guido Rimonda und der Camerata Ducale auf Youtube (abgerufen am 26. Juni 2019)
↑erschienen bei Decca zusammen mit Viottis Konzerten Nr. 12 und 25, siehe Website von: www.universalmusic.it. (abgerufen am 26. Juni 2019)
↑Romaric Godin: "La Marseillaise, un Hymne à l'histoire tourmentée", in: La Tribune, 20. November 2015, online (französisch, abgerufen am 26. Juni 2019)
↑Zu Mozarts Lebzeiten, also bis Ende 1791, erschienen nur folgende Konzerte im Druck: KV 175 + KV 382, KV 413–415, KV 453 und KV 595. Siehe: H.C. Robbins Landon (Hrsg.): Das Mozart-Kompendium, Droemer Knaur, München 1991, S. 495–496
↑Laurent Martino: «Allons enfants de la patrie». Direktor für Kulturerbe, Erinnerung und Archive. Ministère des Armées (Verteidigungsministerium), abgerufen am 27. Oktober 2022.
↑Deutschlandfunk, Radionacht, Folk- und Lied-Geschichte(n), Clarisse Cossais: Magier des Chansons - Graeme Allwright. Ein französischer Protest-Sänger mit neuseeländischen Wurzeln